Damian
Unterwelt. Sie sind erschaffen, um zu Töten. Und doch gibt es sie und die Neue Generation versucht ein Überleben der Vampire zu sichern. Wozu? Damit sie weiter über Jahrhunderte unter den Sterblichen weilen? Zusehen, wie alles vergeht, außer sie selbst? Nein. Das ist nicht sein Weg. Er ist froh, dass es zu Ende geht. Er hat genug gesehen, erlebt und gelitten. Er kann und will nicht mehr. Er hat tausendfach Leid und Verderben über die Menschen gebracht. Er kann sein eigenes Spiegelbild nicht mehr ertragen. Was er jedoch ertragen muss, ist dieses ewig, lange Sterben. Es ist die grausamste Art, seine Existenz auszulöschen. Er stirbt in Raten! Welch eine Ironie!
Damian erinnert sich daran, wie sein Sterben begann. Zunächst nahm er es eigentlich kaum wahr, fand immer irgendeine Erklärung dafür, warum er plötzlich nicht mehr jedes noch so winzige Geräusch wahrnahm oder die Blüten der Rosen so blass wirkten. Jetzt weiß er, das alles waren Vorboten eines schleichenden Prozesses. Der Vorgang des Verfalls, der Verlust dessen, was einen Menschen ausmacht, die langsame Beeinträchtigung und schließlich der Ausfall seiner Sinne. Zuerst verlor er seinen Geschmackssinn. Natürlich muss er als Vampir keine Nahrungsmittel mehr zu sich nehmen, wie die Sterblichen. Aber hin und wieder genoss er es, zubereitete Speisen zu essen, meistens fand das gemeinsame Essen ja auch im Rahmen eines gesellschaftlichen Anlasses statt. Mit der Zeit schmeckte alles irgendwie gleich, er war nicht mehr in der Lage die Süße eines reifen Apfels von einem Stück trocken Brot zu unterscheiden. Am Ende schmeckte alles nach Nichts. Und schließlich war er es leid, eine vollkommen geschmacksneutrale Masse in seinem Mund hin und her zu schieben und schließlich hinunter zu würgen. Das war vor über eintausendfünfhundert Jahren und eigentlich nicht ungewöhnlich für Vampire. Dann erlosch die Fähigkeit zu fühlen. Fühlen mit der Haut und dem Herzen. Er kann seine Hand über eine Flamme halten und spürt doch nicht mehr als ein Kribbeln. Er kann ein Messer nehmen und es sich in den Bauch rammen, er würde den Schmerz spüren, aber er wäre schnell wieder verflogen. Er nimmt diese Dinge nicht mehr mit der Intensität wahr, wie Sterbliche es tun. Es ist, als wäre über die Jahrhunderte seine Wahrnehmungskraft erloschen. Aber auch sein Herz fühlt nichts mehr. Er kennt keine Emotionen mehr. Gefühle sind ihm fremd. All die Kriege, die er erlebt hat, in denen er gekämpft hat, und in denen er ohne Reue gemordet hat. All die Qualen, die Folter, die Demütigungen, für die er verantwortlich war. Sie berührten ihn nicht. Er hat kein Mitgefühl empfunden mit all den Sterblichen, die er tötete, nur um seine Gier nach Blut zu befriedigen. Kein schlechtes Gewissen plagte ihn, wenn er die jungen Mädchen vergewaltigte, oder sie wie Marionetten nach seinem Willen tanzen ließ. Er war und ist es immer noch: ein eiskalter, gewissenloser Killer. Er hat verlernt die Empfindungen anderer wahrzunehmen, diese Schwingungen, die die Sterblichen ausstrahlen, wenn sie lieben, oder aber abgrundtief hassen. Wenn sie glücklich sind, oder zu Tode betrübt. Er nimmt diese Gefühle nicht mehr wahr. Gefühle können schön aber gleichzeitig auch grausam sein, er weiß das nur zu gut.
Und jetzt empfindet er sie plötzlich wieder. Er spürt Rachel. Er nimmt sie wahr, stärker und intensiver als ihm lieb ist. Es ist, als würde sie etwas in ihm wiedererwecken, etwas das tief verborgen in seinem Inneren nicht gestorben oder verschwunden ist. Etwas, das seit Jahrhunderten darauf wartet wieder lebendig zu werden, wenn man das bei ihm überhaupt sagen kann. Berührt Rachel ihn mehr als er wahrhaben will? Ist sie vielleicht in der Lage die Mauer der Einsamkeit, die ihn umgibt niederzureißen und seine Gefühle und Leidenschaft neu zu entfachen? Damian schließt die Augen und legt den Kopf gegen die Lehne. Eine erdrückende Stille umschließt ihn, wie in einer Gruft. Seit Jahrtausenden hat er sich an die Flut der Geräusche, die ihn umgaben, gewöhnt. Manchmal glaubte er wahnsinnig zu werden von der Vielzahl der Geräusche. Aber er lernte damit umzugehen, manche Dinge konnte er einfach ausblenden. Er bemerkte lange Zeit nichts von dem langsamen Verlust dieses Sinnes, er nahm es sogar als Erleichterung auf. Vampire besitzen ein außergewöhnlich sensibles Gehör und können sogar in Frequenzen hören, die sonst nur in der Tierwelt vorkommen. Doch dann begann er das
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