Damian
Zwitschern der Vögel an einem Frühlingsmorgen zu vermissen oder den Flügelschlag eines Schmetterlings. Es sind diese leisen, sanften Töne, die er nur noch mit äußerster Konzentration wahrnehmen kann. Von seinem ehemals übersinnlichen Gehör ist nicht sehr viel übrig geblieben. Und doch blieb alles, was der Vampir in ihm benötigte außergewöhnlich gut erhalten: die Fähigkeit, den Geschmack des Blutes zu erkennen und seinen betörenden Duft wahrzunehmen. Er hört das Trommeln des Herzens seiner Opfer und das Rauschen ihres Blutes, wenn es durch die Adern fließt, so deutlich und laut, dass alle anderen Geräusche fast vollständig davon überlagert werden. Sein ganzes Sein ist reduziert auf den Vampir. Alle Fähigkeiten, die der Kreatur von Nutzen sind, sind weiterhin übernatürlich stark ausgeprägt. Aber alles, was menschlich ist, was Sterbliche sehen, hören und wahrnehmen, verliert zunehmend an Bedeutung.
Damian atmet tief ein und aus. Dass er auch noch die Fähigkeit Farben zu erkennen verlor, brachte ihn schier zur Verzweiflung. Er sieht sehr scharf, immer noch, aber eben ohne Farben. Nur aus seiner Erinnerung heraus weiß er, in welch tiefem Rot die Rosen in seinem Garten blühen und wie das saftige Grün der Felder aussieht. Wie oft hat er die Götter verflucht, dass sie ihm genommen haben, was sein Leben, sein Talent, seine Berufung war. Und doch fand er sich irgendwann auch damit ab, dass sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes farblos war. Alles, was einem Menschen Freude macht, wurde ihm genommen. Alles. Er ist eine funktionierende, leere, einsame Hülle eines Menschen, der diese Bezeichnung nicht mehr verdient. Eine leblose Kreatur des Nichts.
Damian reißt sich aus seinen trüben Gedanken. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass es schon nach ein Uhr ist: Zeit, die Klink anzurufen. Er nimmt sein Handy und wählt die Nummer, die ihm Dr. Ahgari gegeben hat. Er spricht leise, um Rachel nicht unnötig aufzuwecken. Der Kreislauf des Professors ist stabil und er scheint gut auf das Gegengift anzusprechen, gibt ihm Dr. Ahgari Auskunft. Sollten sich die Werte weiter positiv entwickeln, kann Rubins morgen die Klinik wieder verlassen.
„Wie geht es ihm?“, will Rachel verschlafen wissen, während sie sich aufsetzt. Damian legt sein Handy zur Seite.
„Gut“, ist Damians knappe Antwort, denn er ist immer noch damit beschäftigt, seine dunkle Seite zu kontrollieren. Er will nicht, dass Rachel ihn jemals so sieht, als Vampir. Er könnte es nicht ertragen, in ihr entsetztes Gesicht zu schauen. Es würde sein totes Herz brechen, wenn sie sich voller Ekel, Angst und Abscheu von ihm abwendet. Rachel steht auf und Damian tut es ihr gleich.
„Gott sei Dank!“, entgegnet Rachel erleichtert. Damian nickt.
„Er kann vielleicht morgen die Klinik schon wieder verlassen.“
„Ein Glück! Dann ist es Zeit für mich zu Bett zu gehen“, bringt Rachel mühsam hervor, während sie sich ein Gähnen verhält.
„Ich bringe Dich nach oben“, schlägt Damian vor und schon verlassen sie gemeinsam den Salon. Auf der Treppe geht Damian hinter ihr und obwohl er sich bemüht, gelingt es ihm nicht, Rachel nicht auf den Po zu starren. Als sie vor ihrem Zimmer angekommen sind, zögert Rachel einen Augenblick die Tür zu öffnen.
„Soll ich noch einmal nach dem Rechten sehen?“, bietet er ihr mit rauer Stimme an.
„Nein, danke. Ich glaube, das ist nicht nötig“, erwidert Rachel leise und Damian beobachtet fasziniert wie ihre Lippen die Worte formen. Erst als er seinen Blick wieder von ihrem Mund löst, bemerkt er, dass sie den Kopf etwas zur Seite geneigt hat und ihm tief in die Augen sieht. Küss sie! JETZT! , flüstert ihm eine innere Stimme zu.
„Gute Nacht, Damian“, hört er sie müde sagen und schon dreht sie sich um und verschwindet in ihrem Zimmer.
IDIOT!, hört er die Stimme erneut in seinem Kopf. Er steht immer noch vor ihrer Tür, unfähig sich fortzubewegen. Das war eine einmalige Gelegenheit und er…er hat sie vermasselt. Verdammt!
Endlich löst er sich aus der Starre und geht zurück in sein Schlafzimmer. Er wird keinen Schlaf finden, er weiß es. Zu viele Fragen und Gedanken beschäftigen ihn. Und in deren Mittelpunkt steht nur eine Person: Rachel.
„Es geht mir gut! Wirklich!“ Die Verärgerung ist deutlich in der Stimme des Professors zu hören, als er von Essam im Rollstuhl ins Haus geschoben wird.
„Sie sollen sich noch ausruhen, Professor. Dr. Ahgari hat darauf
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