Damiano
»Herr, bist du krank?«
»Nein, meine Kleine«, antwortete er langsam. »Ich wollte nur ein Weilchen in Ruhe nachdenken.«
Die Hündin ließ sich gelassen neben ihm nieder. Ihre braunen Augen waren kaum eine Handbreit von den seinen entfernt. Während er sie betrachtete, kroch hinter ihrem Ohr ein Floh hervor und verschwand in den weißen Haaren ihrer Schnauze.
»Und hast du nachgedacht?« fragte sie. »Ich meine, bist du jetzt fertig mit Nachdenken? Worüber hast du überhaupt nachgedacht?«
Damiano kämpfte mit der schweren Filzdecke und wälzte sich auf den Rücken.
»Ich glaube – es muß einfach einen anderen Weg geben. Für die Stadt und für mich.«
»Ganz bestimmt«, versicherte Macchiata loyal. »Wenn du meinst.«
Und sie kratzte sich die Seite ihres Gesichts mit den kurzen Krallen ihres Hinterfußes.
Es störte Damiano nicht, daß die Hündin ihm zustimmte, ohne zu wissen, worum es überhaupt ging; er war an Macchiatas blinde Treue so gewöhnt wie an Raphaels Lächeln.
»Ich brauche Hilfe«, fuhr er fort, während er sinnend mit gerunzelter Stirn zu den schwarzen Balken der Decke aufblickte. »Ich brauche Rat.«
»Gewiß.« Sie saß mit gespitzten Ohren da und wartete.
Damiano neigte seinen Kopf zu ihr, und ein Lachen kam ihm über die Lippen.
»Ich meinte – und ich hoffe, du bist jetzt nicht beleidigt, Macchiata – von jemandem, der klüger ist als ich.«
Die Hündin grinste träge.
»Aber keineswegs, Herr. Ich weiß, daß ich erst vier Jahre alt bin, wohingegen du einundzwanzig bist. Aber wo willst du einen finden, der klüger ist als du – das möchte ich gern wissen.«
Damiano grinste ebenfalls. Die lächerlichen Schmeicheleien der Hündin erheiterten ihn immer wieder, weil er wußte, daß sie aufrichtig gemeint waren. Er setzte sich auf und schob die Last der Decken von sich. Unter den Decken trug er seinen Hermelinumhang und sonst nichts. Geschmeidig drehte er sich nach links und nach rechts und fischte aus dem Durcheinander von Kleidungsstücken seinen Kittel und seine Hose heraus.
»Höchstens Raphael, Herr. Er muß sehr klug sein, denn er regt sich niemals auf. Vielleicht ist er noch klüger als du.«
»Vielleicht«, stimmte Damiano zu, und sein Lächeln wurde wehmütig. »Aber seinen Rat kenne ich schon; er ist nicht von dieser Welt, so wie er selbst es nicht ist. Leider aber sind unsere Schwierigkeiten sehr weltlicher Natur. Ich kann mich nicht untätig hinsetzen und beten.
Außerdem, wenn der Erzengel entdeckte, was ich gestern abend getan habe, würde er wahrscheinlich kein Wort mehr mit mir sprechen.«
»Gestern abend, als ich schlief, Herr? Was hast du da getan?«
»Ich habe mit dem Teufel geplaudert, meine Kleine. Und er hat mich hinausgeworfen.«
Macchiata überlegte. »Ist der Teufel klüger als du? Wolltest du dir bei ihm Rat holen?«
Damiano streifte seine Hose über und fragte sich dabei, wie viele von Macchiatas Flöhen wohl in ihr versteckt waren – und wie viele von seinen eigenen.
»Ja, ich bin wohl zu ihm gegangen, um mir Rat zu holen. Aber das heißt noch lange nicht, daß ich seinen Rat auch beherzigen muß.«
Er kniete nieder, um die Decke zusammenzufalten. Seine Knie taten sehr weh.
»Weißt du, meine Kleine, es ist ein gutes Gefühl, vom Teufel hinausgeworfen zu werden. Vielleicht nicht so gut, wie vom Vater selber empfangen zu werden, aber nach diesem letzteren Erlebnis wandelt man ja im allgemeinen nicht mehr auf der grünen Erde. Ich glaube, ich weiß, was ich tun werde.«
»Was wir tun werden, meinst du«, verbesserte Macchiata, die unbekümmert in der Mitte der Decke stand, die ihr Herr zu falten versuchte.
»Gut, was wir tun werden. Wir machen eine Reise. Eine sehr angenehme Reise in ein schönes Land. Nur wir beide.«
Macchiata neigte den Kopf auf eine Seite, und ihre Schwanzspitze begann sich hin und her zu bewegen. Langsam gewann das Wedeln an Geschwindigkeit und Umfang, und bald wackelte ihr ganzer Körper von der Schwanzspitze bis zu den Schultern.
»In die Provence, Herr, wie du letzte Woche gesagt hast?«
Damiano warf die Decke in die Ecke und stand auf. Er streckte den Kopf aus dem einzigen kleinen Fenster im Raum und holte tief Luft.
»Nein. Letzte Woche hing ich noch kindischen Träumen nach. Ich träumte von meinem eigenen Glück. Aber trotzdem, dort, wohin wir reisen werden, ist es noch schöner als in der Provence. Wir ziehen in die Lombardei, meine Kleine. Um eine Hexe zu suchen, von der mein Vater sagte, sie wäre die
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