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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Knall zu Boden.
    Eine Frau eilte ihm rasch zu Hilfe.
    Dann wurde es still in der Kirche.
    Und Pastor Henry, dessen Stirn und Wangen schon jetzt schweißbedeckt waren, trat nach vorne.
    In dem Augenblick, in dem ein Geistlicher mit seiner Predigt beginnt, entspannt sich mein Körper unwillkürlich, als wisse er, dass jetzt etwas Wohltuendes beginnt. Das hatte ich immer bei den Predigten des Rebbe so erlebt, und so lehnte ich mich auch jetzt bequem zurück, als der Organist die letzten Töne von »Amazing Grace« gespielt hatte.
    Henry beugte sich vor und verharrte einen Moment in dieser Haltung, als hänge er noch einem Gedanken nach. Dann begann er zu sprechen.
    » Amazing grace …«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Unglaubliche Gnade …«
    » Amazing grace !«, rief wieder jemand. Andere klatschten. Dies schien kein stiller Gottesdienst zu werden, wie ich ihn kannte.
    »Amaaaaazing grace!«, schmetterte Henry mit sonorer Stimme. »Ich könnte längst gestorben sein!«
    » Mmm-hmm !«
    »Ich könnte schon lange tot sein!«
    » Mmm-hmm !«
    »Eigentlich sollte ich auch tot sein! Aber durch die Gnade Unseres Herrn …«
    »Jaaa!«
    »Durch Seine Gnade wurde ein Schuft erlöst. Ich war ein Schuft. Wisst ihr, was das ist? Ich war ein Crackhead, ein Trinker, ein Heroinsüchtiger, ein Lügner, ein Dieb. All das war ich. Doch dann kam Jesus der Herr …«
    » Jeesuus !«
    »Der Erlöser! … Jesus … Er erhob meine Seele. Er gab mir neuen Sinn. Er gab mir einen neuen Platz im Leben. Alleine tauge ich nichts …«
    » Oh ja !«
    »Doch durch ihn wird alles anders!«
    » Aaa-men !«
    »Gestern, gestern, meine Freunde, brach ein Stück der Decke ein, und es regnete in unser Gotteshaus. Doch ihr wisst …«
    » Wir hören dich, Reverend …«
    »Doch ihr alle, ja, ihr alle, kennt das Lied … Hallelujah …«
    » Hallelujah !«
    »Jawohl!«
    Der Pastor begann in die Hände zu klatschen, der Organist stimmte ein, der Schlagzeuger legte los. Und alle gerieten in Verzückung.
    »Haaaa-llelujah …«, schmetterte Henry, »… never gonna let life’s troubles get you down …
    no matter what comes your way
    lift your voice and say –
    Hallelujah!«
    Seine Stimme klang wunderschön, klar und stark und erstaunlich hell für einen Mann seiner Statur. Die Gemeinde klatschte begeistert in die Hände, wiegte sich, sang mit – nur ich nicht. Ich kam mir vor wie eine Lusche, die im Chor nicht mitsingen darf.
    »Hal-le-luhjah!«
    Als das Lied zu Ende war, fuhr Henry übergangslos mit seiner Predigt fort. Es gab keine Pausen zwischen Gebet, Predigt, Lied, Fürbitte, Call und Response. Alles ging ineinander über.
    »Gestern Abend kamen wir herein«, sprach Henry, »und blickten um uns, und die Wände sind rissig, und die Farbe blättert ab …«
    » Ja, so ist es !«
    »Und wir hörten das Wasser von der Decke tropfen. Wir stellten Eimer auf. Und ich bat den Herrn um Hilfe. Ich begann zu beten. Ich sprach: Oh Herr, zeige uns Deine Güte und Gnade. Hilf uns, diese Kirche zu heilen. Hilf uns, dieses Loch zu verschließen …«
    » Ja-wohl …«
    »Und für eine kurze Weile war ich der Verzweiflung nah. Weil ich nicht wusste, wo Geld herkommen soll. Doch dann besann ich mich eines Besseren.«
    » Ja-wohl !«
    »Ich besann mich, weil ich etwas verstand.«
    » Oh ja, Reverend !«
    »Denn der Herr, wisst ihr, Er schaut auf eure Taten, doch ein Haus ist ihm gleichgültig.«
    » Aa-men !«
    »Der Herr schaut nicht auf ein Gebäude !«
    » Ganz recht !«
    »Jesus der Herr spricht: ›Darum sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen.‹ Der Herr schaut nicht auf ein Gebäude . Der Herr schaut auf euch und in eure Herzen!«
    » Aa-men !«
    »Und wenn dieses Gebäude der Ort ist, an dem wir Ihm huldigen … Wenn dies der Ort ist, an dem wir Ihm huldigen … Wenn dies der einzige Ort ist, an dem wir Ihm huldigen können …«
    Er hielt inne und senkte die Stimme zu einem Raunen.
    »Dann ist er Ihm heilig.«
    » Ja, Reverend! … So sei es! … Aa-men !«
    Die Leute standen auf und klatschten begeistert. Dank Henrys Predigt glaubten sie nun, dass ihre Seelen gesehen wurden, auch wenn ihr Gotteshaus zusehends verfiel. Und dass der Herr dieses Loch im Dach vielleicht dazu benutzte, um zu ihnen hereinzuspähen und sie zu sehen.
    Ich blickte auf die roten Eimer und das tropfende Wasser. Henry in seinem gewaltigen blauen Talar trat zurück und sang die Gebete. Noch immer war ich mir nicht sicher, was ich von

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