Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Vergeuden gehabt hätte«. Warum dieser Wunsch nach politischer Aktivität? Ich bin mit der Zeit immer mehr Gegnerin eines deutschen (speziell bayerischen) Schulsystems dort geworden, wo dinosaurierhaft an die Dominanz der Stoffvermittlung geglaubt und vernachlässigt wird, dass Schüler sehr lernbereit sind in einer Umgebung, die ihnen mit Achtung und Zutrauen begegnet - und das im Kontakt mit Lehrern, die sie begeistern können mit dem Lernstoff. Nicht, weil der immer so spannend wäre, sondern weil die Lehrer spannend sind.
Was ist ein spannender Lehrer? Einer, der über einen ordentlichen inneren Spannungsbogen verfügt, welcher vom Fach bis zur Schülerpersönlichkeit reicht. Ein Lehrer also, der sich nicht nur für sein Fach zu begeistern weiß, sondern auch für seine Schüler und für deren Entwicklung Neugierde und Interesse zeigt. Es gibt an jeder Schule solche Lehrer. Sie sind beliebt, auch bei den Schülern, die im jeweiligen Fach nicht glänzen. Und diese Lehrer gehören keineswegs zum antiautoritären Typ, der alles erlaubt. Sie setzen, wo nötig, klare
Grenzen. Doch geliebt werden sie vor allem dadurch, dass sie die Schüler nicht entwerten und bloßstellen und sie klein und dumm halten - und sich groß und gescheit. Diese Lehrer sind leider oft noch Gefangene ihrer Biografie. Was sie in ihrem Berufsalltag praktizieren, ist oft nichts anderes als die Umkehr erlittener familiärer Verhältnisse: Kind dumm, Eltern gescheit; Kind ohnmächtig, Eltern mächtig. Ihr Beruf ist die ersehnte Umkehrung familiärer Erfahrungen. Diese Umkehrung gelingt selten. Doch zum Modell einer besseren Schule kommen wir später noch ausführlicher.
Der uns alle bewegenden schöpferischen Sehnsucht nach besseren Verhältnissen begegnen wir auf Schritt und Tritt. Sie ist Ergebnis aller früheren Hochkulturen, der Kultur überhaupt, der rasanten Entwicklungen im Hightechzeitalter. Immer stecken hinter neuen Errungenschaften schöpferische Köpfe, die nach Vervollkommnung auf ihrem Gebiet lechzen. Dass daraus dann schnell ein »Markt« wird und der Versuch der Profitoptimierung, kann man beklagen, weil der schöpferische Impuls dahinter schnell untergeht. Doch das ändert nichts daran, dass jede Entdeckung und Weiterentwicklung ihren Anfang genommen hat mit einem kreativen Menschen oder einer Gruppe von Menschen, die mit dem Bisherigen nicht mehr zufrieden waren und mit einem tiefen Wunsch nach Verbesserung schwanger gegangen sind.
Dieser Wunsch treibt auch Eltern an. Der Satz »Ich wollte es bei meinen Kindern besser machen« ist wohl einer der am häufigsten fallenden Sätze in einem Therapiezimmer. Dieser Wunsch lässt Unzufriedenheit mit den eigenen Erfahrungen ahnen. Er lässt aber auch einen Verdacht aufsteigen: nämlich die Erwartung, dass man eine perfekte Kindheit haben müsste, um gut und sicheren Schrittes durch diese Welt zu schreiten. So, wie viele Eltern sich quälen mit dem zentnerschwer wiegenden Bild einer vollkommenen Mutter, eines vollkommenen Vaters, und sich immer wieder in dieses
Bild hineinzwängen wollen, so laufen viele Menschen herum mit dem Bild einer vollkommenen Kindheit. Das sind Trugbilder. Ich bin noch keinem einzigen vollkommenen Kind, keinem vollkommenen Vater und keiner vollkommenen Mutter begegnet innerhalb und außerhalb meiner Praxis. Genauso wenig bin ich eine vollkommene Therapeutin. Wie viel Zeit verstreicht manchmal mit den Anstrengungen von Eltern, mir die perfekten Eltern darzustellen - dabei genügte es, einfach Eltern zu sein.
Eine meiner Hauptaufgaben in meiner Tätigkeit als Therapeutin besteht darin, den Eltern nicht in den Blick zu rücken, wie viel sie falsch, sondern wie viel sie richtig machen. Ihr Wunsch, aus Fehlern ihrer Eltern in der Erziehung zu lernen, ist legitim und kreativ. Doch oft ist das diffuse Leiden an den elterlichen Fehlern unbewusst noch so groß, dass es zu einer Distanzierung gegenüber den eigenen Eltern kommt. Bei diesem Versuch der Distanzierung fällt oft das Bewährte und Gute, das es ja auch gegeben hat, unter den Tisch - genauso, wie das Belastende aus dem Gedächtnis wieder verschwindet. Dieser Gedächtnisschwund ist oft bei Eltern zu beobachten, die als Kinder geschlagen wurden, wo es zu sexuellen Übergriffen gekommen ist, wo die Eltern alkohol- oder medikamentenabhängig waren. Oder in Familien, in denen in der Großelterngeneration stark mit dem Nationalsozialismus sympathisiert worden ist, ohne dass eine spätere Auseinandersetzung darüber
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