Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Anforderungen nicht zurecht, wie sie ihre Kinder bedrängen. Ein Vater, der mit viel Geschick und fachlichem Weitblick die Belange seiner Firma nach innen und außen vertritt, mit Fingerspitzengefühl seinen Mitarbeitern begegnet, »sitzt mir mit der Haltung eines Profiboxers gegenüber, der seinen letzten Kampf gewinnen will, wenn die Mama gesagt hat, so, jetzt halt du das mal aus«, so der 15-jährige Markus. Dieser Vater beginnt den Mathekampf mit den Worten: »Ich warne dich gleich am Anfang, wenn du den Nichtkapierer herauskehrst, ist Schluss.« Das Fingerspitzengefühl, das von seinen Mitarbeitern so gelobt wird - dem Sohn kommt es nicht zugute. Hier herrscht wirklich Boxkampfstimmung. Die Runden werden gezählt. Wer geht zuerst in die Knie, der Sohn oder der Vater? Manchmal rutschen diese Kämpfe gefährlich nahe an ein körperliches K.o. heran. Ein Umstand, der beide mit Scham erfüllt. Die Lösung heißt dann, wie so oft, viel zu oft, Nachhilfestunden. Das Kommunikationsproblem wird nach außen verlagert. Soll doch ein junger Student sich mit dem renitenten Sohn herumschlagen! Manchmal hilft’s wirklich, wenn die Hausaufgaben und Schulaufgabenvorbereitung in fremde Hände gelegt werden. Vor allem bei Jugendlichen, die sich von den Eltern nicht mehr beim Nichtkönnen ertappen lassen wollen. Doch oft scheitert auch der motivierte Nachhilfelehrer, weil es nicht um ein intellektuelles Verständnisproblem, sondern um ein Kommunikationsproblem geht - in der Familie, nicht im Kontakt zum Nachhilfelehrer.
Es ist erschreckend, wie viele Kinder und Jugendliche Nachhilfeunterricht brauchen. Gerade unter den Gymnasiasten. Dass Kinder unterschiedlich begabt und interessiert sind, ist normal. Die einen Kinder sind besser in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, die anderen in den sprachlich-musisch-sozialen Fächern. Das einfache Wort
dafür ist: Neigung. Doch wie viele Kinder erhalten sowohl in einzelnen Sprachen wie in Mathematik, Physik oder Chemie Nachhilfe. Jetzt könnte man vorpreschen und sagen: Die gehören halt nicht aufs Gymnasium.
Um es kurz zu machen: Es gehörten viel mehr Kinder aufs Gymnasium. Gymnasium setze ich hier stellvertretend für eine fundierte Bildung. Wenn dies an der Realschule passiert, ist es genauso gut. Und wenn eine Hauptschule es schafft, den Kindern die Freude am Wissen zu vermitteln, ist das Kind auch dort gut aufgehoben. Allerdings: Ein Kind, das sich durch Neugier und Lernfreude auszeichnet, kann genauso gut aufs Gymnasium oder auf die Realschule gehen.
Die Süddeutsche Zeitung ist wirklich so etwas wie eine Speerspitze im Kampf um ein besseres Bildungssystem. Fast täglich setzt sie sich für eine längst überfällige Schulreform ein. Im Fokus hat sie, standortbedingt, das bayerische Schulsystem. Bayern weist bei der Zahl der Gymnasiasten und Abiturienten weit unterdurchschnittliche Werte auf. Die Durchfallquote ist hier vergleichsweise hoch. Und das in einem Bundesland, das in der PISA-Studie so gut abgeschnitten hat.
Noch gibt es keine Untersuchungen zum Nachhilfeunterricht. Doch wäre es verwunderlich, wenn Bayern auch hier »spitze« wäre? Nachhilfeunterricht kostet Geld. Für viele Bewohner des neben Baden-Württemberg reichsten Bundeslandes offenbar kein Problem, doch für andere eben schon. Die Kinder aus sozial einfachen Schichten oder eines alleinerziehenden Elternteils haben hier bereits das Nachsehen. Alleinerziehende bringen für zwei bis drei Nachhilfestunden in der Woche das Geld einfach nicht auf. Doch auch viele andere Familien können sich jahrelangen Nachhilfeunterricht nicht leisten.
Ich bin nicht generell gegen Nachhilfe. Wenn Eltern ihre Kinder aus verschiedenen Gründen nicht beim Lernen unterstützen können, ist es manchmal eine Entlastung, wenn
ein Dritter das Kind etwas begleiten kann. Oder es ist auch sinnvoll, wenn Kinder, hier Jugendliche, vor einer Klassenarbeit selbstständig Kontakt mit einem anderen kompetenten Jugendlichen aufnehmen, der zwei, drei Klassen höher ist, und sich von diesem den Stoff nochmals in aller Ruhe erklären lassen - gegen Bezahlung, was für den einen ein willkommener Beitrag zum Taschengeld ist und die Eigeninitiative des anderen, stofflich gerade unsicheren Jugendlichen stärkt. Natürlich wäre es am besten, wenn der Lehrer gefragt werden könnte. Doch die G8-Lehrer sind ja selbst unter Stoff- und damit Zeitdruck. Also keiner Idealität nachträumen, sondern die Realität anschauen …
Nachhilfe als
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