Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
15-jährige Jugendliche ist bereits einmal mit dem Flugzeug unterwegs gewesen. Schüleraustausch findet nicht mit einem benachbarten Land statt, sondern etwa mit einer amerikanischen Schule. Die heutigen jungen Menschen
sind unglaublich mobil. Auslandskontakte, wie sie sich durch Verwandte und Bekannte ergeben, werden gerne genutzt.
Auch sprachlich sind die jungen Menschen gewandter, als es frühere Generationen waren. Und das betrifft nicht nur ihre besseren Fremdsprachenkenntnisse, vor allem Englisch, sondern ihre Ausdrucksfähigkeit, ihren Wortschatz. Vielleicht höre ich jetzt bei einigen Deutschlehrern Protest und bei Erwachsenen allgemein ein empörtes Schnauben. Ein Vater sagte einmal mit gelinder Verachtung in der Stimme: »Die haben ja nur noch einen rudimentären Wortschatz … so geil, krass, fett, easy, gechilled. Das erscheint mir ziemlich dürftig. Wenn du deinem Sohn eine Frage stellst, kommt die Antwort ›Passt schon.‹«
Lassen wir uns nicht täuschen von dieser scheinbar rudimentären Sprache. Sie ist eine Übergangssprache, die erfolgreich schafft, was sie schaffen soll: die Abgrenzung und Verschließung der Elterngeneration gegenüber. Pubertät steht unter Verschluss. Pubertät definiert sich über Rückzug. Angegriffen wird nur, wenn man sich als Jugendlicher in der noch unscharfen, noch unförmigen und eckigen Welt- und Selbstsicht gestört oder bloßgestellt erlebt.
Diese Jugend hat Sprache. So viel wie noch nie. Es ist noch mit keiner Jugend so viel gesprochen worden, den Kindern erklärt worden, warum es jetzt kein Eis gibt, warum es zu Fernsehverbot kommt, warum es jetzt nicht so laufen kann, wie das Kind es möchte. Das exzessive Sprechen hat leider in vielen Familien das Handeln abgelöst. Schon Sechsjährige können den ganzen Familienalltag aufhalten, weil sie einen Wunsch nicht erfüllt bekommen. In meiner Praxis erlebe ich täglich, wie Eltern dann argumentieren, erklären, begründen, sich rechtfertigen, wenn sie eine Grenze setzen möchten. Manchmal ist hier ein klares Nein die Erlösung für alle Beteiligten (siehe dazu auch Jesper Juuls wunderbares
Buch Nein aus Liebe ). Eltern sind äußerst ungern »böse« Eltern. Eltern wollen geliebt werden - eine der häufigsten Elternfallen!
Doch zurück zu den sprachlich versierten Kindern: Neben den erwähnten Nachteilen, die manchmal stärker ins Gewicht fallen, ist ein Vorteil dieser diskussionsfreudigen Familienatmosphäre, dass die Kinder reden können, oft mit dem Wortschatz und der Syntax eines Erwachsenen - was dann allerdings wiederum nachdenklich stimmen könnte.
Ein Fünfjähriger hat mir letzthin im Rollenspiel gesagt: »Das passt mir jetzt gar nicht, dass der Kasperl weint. Der Kasperl ist doch perfekt, das ist doch kein Loser...« Dazu muss man wissen, dass dieser Junge ältere Geschwister hat, vor allem aber einen Papa, der »Loser« nicht mag. Oder eine Sechsjährige: »Kannst du mir verraten, was das jetzt soll … Ich bin doch hier nicht das Dienstmädchen, du hast auch mitgespielt und ich muss jetzt den Dreck hier wegräumen (Sand, den sie zuvor lustvoll über den Sandkasten geschippt hat, NSK). Das sag ich nachher meiner Mama, die findet das sicher nicht in Ordnung, die findet das (sie sucht nach einem Wort) … problematisch.« - »Wie bitte?« - »Ja, problematisch, hab ich gesagt, kennst du das Wort nicht?« Die Mutter fand es dann allerdings nicht problematisch … Ich hingegen schon, weil es einfach nicht die Sprachlandschaft ist, in der sich ein so zartes Wesen wie Janina aufhalten sollte. Hier kommt es zu einer Überidentifikation mit der Sprach- und Haltungswelt einer Erwachsenen, die ihr den Aufenthalt in ihrer eigenen kindlichen Gefühlswelt erschwert.
Die Schulen machen viel zu wenig Gebrauch von dieser sprachlich versierten Generation. Wobei hier angemerkt werden muss, dass dieser klare Sprachfluss nicht immer mit einem entsprechend klaren Gefühlsfluss einhergeht. Trotzdem, diese Sprachkompetenz ist eine Ressource. Und Ressourcen müssen gehütet und genutzt werden, sonst verkümmern sie.
Schüler aus allen Schultypen (mit einer Ausnahme alles Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren) sind in der Süddeutschen Zeitung einmal gebeten worden, ihre Traumschule darzustellen. Ich habe mit viel Neugierde und Freude diese Entwürfe einer Traumschule aufgenommen. Da soll einer noch sagen, unsere Jugendlichen würden sich keine Gedanken machen und nur chillen und abhängen wollen.
Ihre Traumschule sieht so
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