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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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Schulanfänger manchmal nicht zu viel Hausaufgaben bekommen, sagt eine Mutter beim Elternabend im beiläufigen Ton zu anderen, dass »wir uns nicht beklagen können. Wir kommen ganz gut klar mit den Hausaufgaben, wir haben da ziemlich schnell einen guten Rhythmus gefunden, klappt prima.« In der Praxis gesteht mir dann diese Mutter, dass sie zu Hause überhaupt keinen Rhythmus gefunden haben bezüglich des Hausaufgabenpensums ihres Sohnes. Auf meine
nachdenkliche Frage, warum sie dann beim Elternabend das genaue Gegenteil erzählen würde, meinte sie resigniert: »Das tun dort doch alle, da gibt’s ja kaum Eltern, die es beim Hausaufgabenmachen bewenden lassen … so ein ehrgeiziger Elternhaufen!«
    Solche ehrgeizigen Eltern sind Mehrfachräuber - man verzeihe mir diesen etwas harten Ausdruck. Sie rauben ihren Grundschulkindern die Spielzeit, die absolut notwendig ist zum Auftanken der kindlichen Seele. Sie rauben ihnen die Freude am Lernen und sie rauben ihnen, vielleicht am wichtigsten, die Entdeckung, dass Schule ein langer Weg hin zu immer mehr Kompetenz ist. Dass man nicht gleich können muss, sonst wird eine Extraportion Lernen verordnet, sondern erwerben darf. Ein Erstklässler sagte mir, vier Monate drückte er erst die Schulbank, mit großem Kummer: »Ich kann nicht lesen.« - »Aha, das kannst du doch noch gar nicht wissen, du hast doch erst mit Lesen angefangen.« - »Doch, meine Lehrerin hat gesagt, ich kann nicht lesen. Die Mama findet schon, dass ich lesen kann, aber wenn die Frau W. (Lehrerin) sagt, ich kann nicht lesen, hat die Mama gesagt, dann üben wir jetzt.«
    Vielen Kindern macht das Lernen überhaupt keinen Spaß mehr. Bei vielen Kindern hört sich das Wort »lernen« in ihrem Mund an, als ob sie sich gleich übergeben müssten oder als ob es ein Kummerwort erster Güte wäre. Oder einfach ein abstoßendes, ekelerregendes Wort.
    Lernen ist ein unvergleichliches Wort. Nicht das Zauberwort, nach dem Novalis gesucht hat. Doch Zauber besitzt es allemal, denn es eröffnet uns eine verriegelte Tür nach der anderen zum großen Weltgeheimnis. Die Entschlüsselung dieses Weltgeheimnisses, in dem alles Wissen, alle Schöpfungen, alle natürlichen Kreationen, mit oder ohne Menschenhand geschaffen, enthalten sind und ständig neue entstehen, beginnt mit dem Lesen. Es sind kostbare Augenblicke, wenn
Erstklässler plötzlich ein Wort entdecken, an der Wand, an einem Plakat oder auf einem meiner Hefte, das ihrem Wahrnehmungskreis bisher entzogen war, weil sie ins Reich der Buchstaben noch nicht eingetreten waren. Und ihr Blick auf mich, wenn sie das Wort entziffern: eine Mischung aus Triumph und stiller Freude. Ich freue mich mit, genieße mit ihnen dieses langsame Erwachen der Lernfreude. Mit jedem kleinen eroberten Wort dringen sie weiter ein in die große Welt der Zusammenhänge. Umso trauriger stimmt mich dann die Bemerkung von Tobias, einem Vorschulkind: »Ich kann nachher nicht mit meinem Freund spielen, ich muss noch lernen, zwei Übungsblätter hab ich bekommen, die Kreise sind nicht schön.« Und das Wort »lernen« wird aus seinem Mund gestoßen wie ein Schimpfwort. Eine Stunde davor hat er noch eine Schatzkarte gemalt. Der Schatz liegt in einem See verborgen. Es ist ein kreisrunder See. Tobias kann Kreise malen - wenn sie See heißen und Schätze beherbergen. Er ist doch erst fünfeinhalb Jahre auf dieser Welt. Da sind zehn abstrakte Kreise auf einem Blatt nur langweilig und ohne Wirklichkeitsbezug.
    Lernen ist also kein Zauberwort mehr. Wie auch, wenn die heutigen Kinder nicht mehr lernen dürfen, sondern gleich können und beherrschen müssen. So wird die Freude am wunderbaren Vorgang des Lernens im Keime erstickt. Dabei ist echte Lernfreude eine der wichtigsten Ressourcen unserer Gesellschaft. »Lernen heißt, sich selbst und die Welt kennenzulernen, dem eigenen Wissensdrang zu folgen und ›Vorfreude auf sich selbst‹ zu entwickeln.« (Keicher/Brühl 2008, S. 44)

Ein bisschen Mord
    Die kleinen, schnellen »Morde« passieren in jeder Familie. Leben wird hier in der Regel nicht ausgelöscht, Blut fließt im Normalfall auch keines. Es sind die kleinen Gefühlsmorde, welche die Familienbalance erschüttern.
    Kevin, acht Jahre alt, kommt nach Hause und ruft der Mutter strahlend zu: »Ich hab mir heute von Korbinian nichts gefallen lassen...« - »Okay, und was hast du im Diktat?«
    Der 13-jährige Marco erzählt am Mittagstisch begeistert und schwungvoll, wie seine Mannschaft die gegnerische

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