Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Mannschaft aus der Parallelklasse im Fußballspiel besiegt hat. Der Vater hört kurz zu, dann schreit er los: »Nimm, verdammt noch mal, den Ellbogen vom Tisch runter!«
Sabine, 17 Jahre alt, kommt nach Hause, will mit gesenktem Kopf an der Mutter vorbei, die sie mit den Worten stoppt: »Ist wohl nicht gut gelaufen in der Schule...« Sabine kommt zurück. »Nicht besonders, aber Kai hat mich vor der ganzen Clique lächerlich gemacht.« Die Mutter, ärgerlich (so Sabines Schilderung): »Ich hab dir doch gesagt, lass die Finger von dem Kerl, aber das Fräulein glaubt ja der Mutter nie. Ich könnte auch heulen, weil du nie aufpasst in der Schule … was heißt, es war nicht besonders?«
Kleine Seelenmorde laufen hier in Sekundenschnelle ab. Noch sind sie klein und durchaus verkraftbar. Doch wenn sie keine Ausrutscher sind, sondern ein Spiegel dafür, wie in der Familie kommuniziert wird, werden sie gefährlich. Kinder sind zäh, nehmen auch den Eltern und Lehrern nicht jede ungeschickte oder verletzende Äußerung krumm. Sie vergessen sie einfach wieder mit ihrer unglaublichen Fähigkeit zum Hier und Jetzt. Doch wenn dieses Abtöten einer Empfindung zu oft vorkommt, schrumpft das kleine Reich der Seele, es trocknet aus. Und die robusten Pflanzen, die sich lange Zeit wieder haben aufrichten können, gehen ein. Ein guter Kontakt
ist wie eine Bewässerungsanlage für die Seele. Wenn mal Wasserknappheit herrscht, nimmt die Seele nicht gleich Schaden. Doch wenn wiederholt nicht mehr bewässert wird, wenn die kleinen, schnellen Seelenmorde sich zu häufen beginnen, werden die Erholungszeiten immer kürzer. Irgendwann sind nur noch mit großem Aufwand ein paar Pflänzchen in der entstandenen Kontaktwüste am Leben zu erhalten.
Ein bisschen Neid
Auch Eltern können und dürfen neidisch sein auf ihre Kinder. Vor allem zwischen Jugendlichen und ihren Eltern spielt Neid eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Neid ist ein natürliches Gefühl. Jeder von uns, der mit offenen Augen unterwegs ist, sieht bei anderen Fähigkeiten, die er auch gerne besäße. Er kann dann daran arbeiten, sich in dieser ihm fehlenden Kompetenz zu verbessern. Neid hätte dann eine positive und motivierende Wirkung. Oder er kann den anderen beglückwünschen zu dessen Talenten - und sich auf seine eigenen besinnen, überlegen, worauf andere bei ihm neidisch sein könnten. Auch eine sehr gesunde Art, mit Neid umzugehen. Neid wird nur dann zum Problem, wenn die eigenen Begabungen und Fähigkeiten aus dem Blick geraten oder zur Kapitulation und Entmutigung führen.
Neid zwischen Eltern und Kindern ist normal - auch wenn er oft tabuisiert wird in der Art »Als Eltern gönnt man den Kindern doch alles. Man ist doch nicht auf die eigenen Kinder neidisch!«. Als ob man ein Gefühl, das zu uns Menschen gehört, in der eigenen Familie einfach aussperren könnte! Sagen wir es kurz und direkt: Eltern können auf ihre
Kinder neidisch sein und Kinder auf ihre Eltern. Kompliziert wird es nur dort, wo die Betroffenen sich dieses zugegebenermaßen nicht so angenehme Gefühl nicht eingestehen. Ich bringe gerne ein Beispiel:
Die heutigen jungen Mädchen sind mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein ausgestattet als ihre Mütter. Die bis Ende des letzten Jahrhunderts vorhandene und nicht richtig lösbare Geschlechterproblematik hat in dieser neuen Mädchengeneration ein Ende gefunden. Manchmal tragen Entwicklungen ein ganz positives Gesicht und sind wirklich eine Verbesserung. Die jugendlichen Mädchen, die in meine Praxis kommen, kommen gar nicht mehr auf die Idee, dass Jungen das stärkere oder begabtere Geschlecht sein könnten. Mädchen sind erstmals nicht mehr das, was für meine Generation noch eine feste Sprachwendung war: das schwache Geschlecht. Bereits meine Generation benutzte diesen Begriff zwar, je nach Stimmung, mit einem Zwinkern oder einem säuerlichen Lächeln, doch sie kannte und benutzte ihn noch.
Ich musste schmunzeln, wie ich mit einer temperamentvollen, gewitzten 18-Jährigen einmal über Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen philosophierte und dabei den Begriff »schwaches Geschlecht« benutzte beziehungsweise ihn infrage stellte. Sie schaute mich verdutzt an und fragte: »Was sagen Sie … schwaches Geschlecht … meinen Sie jetzt die Jungs oder was?« Sie kannte diesen Begriff gar nicht! Ich saß, sie war schon wieder gegangen, da und staunte - und freute mich. Ich hatte eben eine Repräsentantin der neuen Mädchengeneration gegenüber
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