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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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gehabt, die nichts mehr wusste von einer sprachlichen Regelung, die fester Bestandteil weiblichen Denkens über Jahrhunderte gewesen war. Auch wenn wahrscheinlich einige Jugendliche diese Wendung noch kennen, so hatte ich doch nach dieser Stunde das Gefühl: Es ist vorbei. Zumindest ein junges Mädchen
weiß nicht mehr, wer ein schwaches Geschlecht sein soll, könnte, müsste.
    Die Statistiken sprechen schon lange eine neue Sprache. Mehr Mädchen als Jungen besuchen das Gymnasium, mehr Mädchen machen Abitur, seit 2006 schließen erstmals mehr Frauen als Männer ein Studium ab. Es gibt Konstanten in unserem Leben und die heißen so, weil sie von einer Generation zur nächsten scheinbar unbeirrbar weiterlaufen. In der Stunde mit dieser jungen Frau konnte ich erleben, dass auch Konstanten eine begrenzte Lebensdauer aufweisen können. Dass Entwicklungen, gerade in der Geschlechterthematik, plötzlich eine neue Richtung einschlagen. Und diese neue Richtung heißt, dass es zwei starke Geschlechter gibt.
    Doch ganz so einfach ist es halt doch nicht. Das starke und das schwache Geschlecht sind schließlich Archetypen. Archetypen strukturieren unser Denken, Fühlen und Empfinden. Wir agieren und handeln aus diesen archetypischen Kräften heraus. Der weibliche und der männliche Archetyp sind fest in unserer Seele verankert. Ich brauche hier nicht nochmals die Inhalte dieser zwei Archetypen aufzuzählen. Das ist schon oft genug gemacht worden. Jede Frau kann herunterbeten, was ihrer Meinung nach weiblich ist. Jeder Mann weiß instinktiv um das sogenannt Männliche. Es gibt die Gegensätze weich - hart, gebend - nehmend, aufnehmen - eindringen, dunkel - hell, verletzt - verletzend, gebärend - befruchtend, Gefühl - Verstand, Innenwelt - Außenwelt etc.
    Immer wieder beklagen sich Mütter über ihre Töchter. Wie hart und selbstbewusst, wie arrogant und selbstsüchtig diese seien im Umgang mit ihren Müttern. Vor allem Hausfrauenmütter bekommen sogar Verachtung zu spüren. Da fallen dann eher häufig als selten Bemerkungen wie: »Du hast ja keine Ahnung, wie stressig Schule ist, hast ja nie ein Gymnasium besucht.« Oder: »Du hockst ja den ganzen Tag nur zu Hause rum, bevor du mir sagst, dass ich mehr tun soll, kannst
du ja selber mal was tun.« Oder: »Wozu soll ich im Haushalt helfen... du hast ja den ganzen Tag Zeit.« Oder: »Halt dich mal raus aus Latein - und mir erzählen wollen, dass das doch kein Problem sein muss. Du hast doch keinen blassen Schimmer von dieser blöden Sprache.« Oder: »Was bist du so streng zum Papa, er bringt ja schließlich das Geld nach Hause... du lässt dich ja nur aushalten.«
    Es steht diesen Töchtern nicht zu, so über ihre Mutter zu urteilen. Allerdings will ich diese Mütter auch nicht zu Opfern einer Gesellschaftspolitik erklären, die viel zu lange ein Familienmodell finanziert, umworben und stabilisiert hat, das es diesen Töchtern leicht gemacht hat mit solchen Argumenten. Die Hausfrauenmütter sind fast immer Frauen, die ihre Sache gut machen wollen als Ehefrau und Mutter. Sie haben die gesellschaftlichen Leitlinien vom trauten Heim und Familienglück ernst genommen. Sie konnten für sich nie »die Gnade der späten Geburt« in Anspruch nehmen.
    Die Wirklichkeit sieht so aus, dass unsere, meine Frauengeneration die letzte ist, die den Schaden einer »zu frühen Geburt« ausbadet. Wer von uns jetzt 40- oder 50-jährigen Frauen hatte zu Hause eine Mutter, die uns nicht nur mit ruhiger Stimme, sondern auch gelassen vorgelebt hätte, dass wir Mutter und berufstätige Frau sein können? Und zwar ganz selbstverständlich und ohne jede Spur schlechten Gewissens? Wenige nur. Unsere zu frühe Geburt lässt uns neidisch werden auf unsere jugendlichen Töchter. Viele Mütter stellen zwar mit Erleichterung in der Stimme fest, dass ihre Töchter die Schule oft besser bewältigen als die Söhne - was übrigens nicht gegen die Intelligenz der Söhne spricht. Söhne passen sich oft nur weniger willig an das enge und oft fantasiearme Schulkorsett an. Doch in dieser Erleichterung schwingt bei den Müttern auch manchmal ein kleines Zittern mit. Wie soll man diesen Töchtern beikommen, die gut beflügelt in eine Geschlechterwelt abheben, die ihnen so viel
mehr Gestaltungsraum zur Verfügung stellt als ihren Müttern früher?
    Eine 43-jährige Mutter sagte mit trauriger Stimme: »Meine Tochter wird vielleicht nie Kinder haben...« - »Ihre Stimme klingt so traurig... wo kommt diese Traurigkeit her?«

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