Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
»Nebenbei-Sprache«, von seiner Fahrerflucht erzählen wollte, die ihn nicht mehr hat schlafen lassen. Der Vater habe ihn nicht mal zu Ende sprechen lassen, sondern hätte ihn sofort gestoppt: »Bis nächste Woche ist das
Auto wieder in Ordnung, musst halt dein Konto plündern. Wer mit meinem Auto fahren kann, kann auch für den Unfall aufkommen, verstanden?« Er habe danach einfach nicht mehr den Mut gehabt, dem Vater die Geschichte zu Ende zu erzählen: dass nicht nur Papas Auto, sondern noch ein zweites in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Ein junges Mädchen, 14 Jahre, schildert, wie die Eltern wieder einmal hemmungslos in seiner Gegenwart gestritten hätten. »Wie wenn ich nicht da wäre, sogar unser Hund ist aufgestanden und hat sich woanders hingelegt.« Daraufhin sei es in sein Zimmer gegangen und habe sich das erste Mal geritzt. Wie die Mutter dann eine Stunde später in sein Zimmer gekommen sei und sich entschuldigt habe, gleichzeitig aber um das Verständnis der Tochter gebeten habe, da es ihr nicht gut gehe, da hätte sie sich einen Schubs gegeben und gesagt: »Mir geht’s auch nicht gut.« Die Mutter habe kurz innegehalten, sie angeschaut, ihr übers Haar gestreichelt und gesagt: »Kopf hoch, das geht vorüber.« Dann sei sie hinausgegangen.
Das Mädchen hat in den folgenden Wochen mehrmals Anläufe genommen, ihrer Mutter vom Ritzen zu erzählen, doch ihre Mutter habe jedes Anzeichen von Kummer entweder mit den mittelprächtigen Schulnoten der Tochter oder mit den Streitereien der Eltern in Verbindung gebracht. »Wenn sie einfach mal geschwiegen und mir zugehört hätte. Doch sie wurde jedes Mal hektisch, hat geredet wie ein Wasserfall und das Gespräch mit dem Satz beendet: ›Das wird schon wieder, Papa und ich kommen schon klar, mach du einfach deine Schule, damit hilfst du uns am meisten.‹«
Julia wollte gar nicht den Eltern helfen, sie wollte, dass ihr geholfen wird. »Wenn die Mama nur einmal zugehört hätte, ich ihr hätte sagen können: ›Mama, ich fühl mich so allein, wenn ihr streitet, ihr vergesst mich regelmäßig.‹«
Eltern hören, was sie hören wollen. Gerade wenn Kinder nach Hause kommen und über andere Kinder schimpfen,
müssten Eltern aufhorchen. Kinder sind nicht auf einem anderen Gefühlsplaneten zu Hause als wir Erwachsenen. Wenn sie verletzt, beleidigt oder lächerlich gemacht werden, reagieren sie wie wir. »Der Lorenz ist ein Idiot... ich mag Lorenz nicht... er ist ein Angeber... Lorenz ist ein Arschloch...« Dieser Junge gibt den Eltern keine Übersetzungshilfe, etwa in der Art: Lorenz hat mich verletzt, Lorenz macht sich lustig über mich, ich fühle mich von Lorenz nicht ernst genommen, Lorenz hört den anderen immer besser zu als mir, Lorenz ist der wichtigste Junge in der Klasse, deshalb möchte ich von ihm gemocht werden. Gutes Zuhören und Nachfragen sind deshalb umso wichtiger.
Auch wenn wir Großen uns über jemanden ärgern, nennen wir meist nicht die genauen Hintergründe. Wir erzählen unserem Zuhörer oft eine Light-Version unseres Ärgers, eben »Dummkopf«, »blöder Kerl« usw. Wer von uns erwähnt schon die Kränkung, die wir eben geschluckt haben! Es würden viel weniger Prozesse geführt werden müssen, wenn wir eine unangenehme Erfahrung mit einem Nachbarn, einem Arbeitskollegen oder Vorgesetzten beim Namen nennen könnten: Häufig geht es um eine Verletzung der Selbstachtung.
Allerdings liegen bei solchen Gesprächen keine Übersetzungshilfen bereit. Trotzdem könnte der Zuhörer dem wahren Geschehen nahekommen - wenn er genau zuhören würde. Der Tonfall führt uns oft auf die eigentliche Fährte. Manchmal ist es seine Mattigkeit, manchmal seine Schärfe, die mehr erzählt, als die Worte es vermögen.
Das gewohnte Hören, das Eltern zeigen, kann, mit etwas gutem Willen und beherzter Absicht, in ein neues Hören verwandelt werden. Wenn ein Elternteil sagt: »Wissen Sie, ich hör gar nicht mehr zu, es ist eh immer dasselbe...«, ist es an der Zeit, neu hinzuhören. Die Kinder sagen nämlich nicht immer das Gleiche. Und wenn sie schnippisch hinwerfen: »Halt’s Maul« oder »Du kapierst eh nichts«, dann sollten Eltern
dem »ewig gleichen« Dialog eine überraschende Wendung geben. Warum auf eine solche Behauptung, die dem Gespräch sicher nicht förderlich ist, nicht einmal nachdenklich und versunken antworten: »Du findest, ich kapiere nichts? Könnte sein... könnte wirklich sein, dabei würde ich dich gern besser verstehen.«
Ich mache
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