Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
und auswählen, was für ihr Kind gut und richtig sein könnte. Beim Grundschulkind sieht es schon etwas anders aus. Da können Eltern Vorschläge machen, ihr Kind Judo, Klavier, Ballett etc. ausprobieren lassen. Und das nicht nur zwei, drei Monate! Kinder verlieren oft schnell ihre Anfangsbegeisterung. Kein Grund für die Eltern, das eben erst Begonnene gleich wieder aufzugeben. Doch spätestens, wenn das Schulkind im Jugendlichenalter ist, entscheidet es selbst, was es weiterführen will und was nicht. Eine Jugendliche täglich ans Klavier zu zwingen oder einen Jugendlichen zum Fußballtraining zu fahren, weil er ohne Mutters Taxifahrten gar nicht im Fußballtraining landen würde, macht keinen Sinn. Da hilft es dann auch nicht, dem Jugendlichen die Welt mit Vaters Augen zu erklären: »Schau mal, wie froh du sein wirst, wenn du mal in einigen Jahren so richtig gut durchtrainiert bist! Solche Männer haben viel bessere Chancen in der Wirtschaft, manchmal muss man sich einfach durchbeißen.«
Jugendliche beobachten gut. Beißt sich denn der Vater immer durch? Oder möchte er bei seinem Sohn eine Eigenschaft auf Biegen und Brechen hervorkitzeln, die ihm selber fehlt?
Jugendlichen eigen ist ihre Begeisterungsfähigkeit für immer wieder Neues. Eltern können sie nicht gegen den Zeitstrom schwimmen lassen. Doch wenn sie selber eine gewisse Zurückhaltung bezüglich der Freizeitprogrammierung an den Tag legen und selber nicht in wildes Konsumieren geraten, heute Golf, morgen ein paar Stunden Spanisch, übermorgen Standardtanz, werden die Kinder ihnen das nachmachen. Wenn Kinder erleben, dass ihre Eltern sich ihre Freizeitbeschäftigungen mit Bedacht und Hingabe aussuchen und auch dranbleiben, egal, was der Nachbar gerade als letzten Schrei erklärt, werden sie ähnlich handeln. Zumindest später, als Erwachsene.
Das Architekturbüro muss also bei Jugendlichen langsam schließen. Eltern brauchen nicht mehr nächtelang am Reißbrett zu stehen. Oft liegen sie einfach schlaflos in ihren Betten, doch ihr Kopf ruht nicht, er entwirft einen Plan nach dem anderen. Sind diese schlaflosen Nächte wirklich nötig? Die Kinder träumen doch bereits eine Zukunft. Aber in die Träume unserer Kinder können unsere Elternaugen halt nicht hineinsehen. Da sind wir wirklich mit Blindheit geschlagen. Und es ist gut so. Kinder sind Geheimnisträger. Sie tragen, ihnen selber oft noch unzugänglich, das Geheimnis ihrer Zukunft gut verschlossen in sich. Sie wollen wahrgenommen, doch nicht ausgeschlachtet werden. Sie möchten ihre Eltern mitunter einladen in ihre neuen Räume, manchmal sind es erst fantastische Räume, im Luftschloss errichtet. Doch sie wollen sie selber entwerfen. Die Aufgabe der Eltern ist es, ihnen das zuzutrauen und vielleicht mal Hand anzulegen, wenn gerade ein passendes Werkzeug fehlt.
Wenig berührte Kinder
Ein sechsjähriges Mädchen sagte einmal empört, als ich ihm in einer plötzlichen Anwandlung über die Haare strich: »Das darfst du nicht … der Papa hat gesagt: Lass dich von niemandem berühren. Es könnten böse Menschen sein.« Ich war irritiert, auch von mir selber verunsichert. Hatte ich eine der wichtigsten Abstinenzregeln verletzt, nämlich keinen körperlichen Kontakt zum Patienten aufzunehmen? Die Arbeit mit Kindern belehrt mich allerdings immer wieder, dass im Umgang mit ihnen diese sinnvolle und unerlässliche Abstinenzregel nicht stur gehandhabt werden darf. Kinder wollen oft, dass ich ihnen eine Geschichte vorlese. Dann setzen sie
sich ganz dicht neben mich, sodass ihre Arme meine berühren. Der leichte Körperkontakt scheint ihnen gutzutun.
Berührung ist, unbefangen und ohne Scheuklappen betrachtet, ein natürlicher Vorgang vom Tier- bis zum Menschenreich. Unser größtes Kontaktorgan will stimuliert werden. Wir müssen uns nicht wie Tiere verhalten, doch ein Blick ins Tierreich zeigt den uns allen bekannten Vorgang zwischen Mutter und Kind nach der Geburt. Wunderbar und ganz selbstverständlich wird Bindung und Stimulierung durch Berührung bei frisch geborenen Katzenjungen sichtbar. Die Katzenmutter leckt ihre nackten Jungen ins Leben hinein. Durch die Zunge der Mutter werden der kleine Katzenkörper und seine Organfunktionen geweckt und aktiviert. Ähnliches gilt für den ersten Kontakt zwischen Mutter und Neugeborenem. Es ist inzwischen Usus, der Mutter gleich nach der Geburt das Baby auf den Bauch zu legen, damit die Mutter-Kind-Nähe aus dem vorgeburtlichen Zustand weitergehen kann und
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