Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
multikulturellen Welt heran. Kindliche Gemeinschaften, in denen
mehrere Nationen vereint sind und verschiedene Sprachen gesprochen werden, sind für sie nichts Ungewöhnliches mehr. Ihre Alltagswelt ist keine »rein« deutsche mehr, sondern sprachlich, ethnisch eine internationale Welt geworden.
Eine sehr zielstrebige und ehrgeizige Mutter befürchtete, dass ihr kleiner Sohn, der im Kindergarten am liebsten mit einem japanischen Jungen spielte, »einmal Mühe haben könnte in der Schule, weil sein Freund ja wirklich nicht gut Deutsch spricht«. Eine andere Mutter, die ich als aufgeschlossen und differenziert schätzte, überraschte mich mit der Überlegung, ob sie ihre fünfjährige Tochter nicht in eine andere Spielgruppe geben solle, »damit sie nicht ständig mit diesem türkischen Mädchen rumhängt. Die sind halt schon sehr anders als wir, da wird nicht groß kommuniziert zu Hause, da sind die Kinder ziemlich sich selber überlassen, da läuft der Fernseher den ganzen Tag...« Tatsache war, dass auch die Kindergartenleiterin den Eindruck hatte, dass dieses fantasievolle türkische Mädchen ihrer Tochter sehr guttat. Ein Gespräch mit der Erzieherin ergab - für mich nicht überraschend -, dass dieses Mädchen genau die Richtige war für meine kleine deutsche Patientin, die eher ängstlich und kontrolliert war und ihre Gefühle lieber verschloss als zeigte.
Ein Vater wiederum bemängelte, dass sein sechsjähriger Sohn ausgerechnet mit einem Jungen seine Freizeit verbrachte, der »gar nicht richtig Deutsch spricht … Die reden ja nur Schweizerdeutsch zu Hause und ständig bringt mein Sohn irgendeinen Begriff nach Hause, den hier keiner versteht. Der andere Junge wird mal staunen, wenn die im Herbst in die Schule kommen!« Als ich ihm dann mit einem Schmunzeln gesagt habe, dass ich als Schweizerin doch auch Hochdeutsch gelernt hätte, war es ihm etwas peinlich, doch er war beruhigt.
Akademikereltern sehen ihre Kinder am liebsten mit anderen Akademikerkindern spielen. Künstlerisch begabte
Eltern bevorzugen am liebsten Freunde für ihre Kinder, die auch schon ein gewisses künstlerisches Flair mitbringen. Deutsche Eltern stressen ihre Kinder mit dem Übertritt aufs Gymnasium, damit »du in der Hauptschule nicht mit lauter Türken zusammen bist«. Das ist »Elterndenke«. Und einfach nicht mehr zeitgemäß. Was Eltern als negative Einflüsse zu erkennen glauben, beruht oft nur auf Vorurteilen und ist ein Relikt aus einer Zeit, in welcher multikulturelle Einflüsse noch nicht an der Tagesordnung waren. Unsere Kinder haben das begriffen, Eltern hinken da etwas hinter ihren Kindern her. Jugendliche chatten, wenn sie Spiele wie »World of Warcraft« oder »Eve« spielen, mit halb Europa. Sie treffen in Meetings, in welchen die Besten dieser Spieler ermittelt werden, auf die ganze Welt. Und das mit 18 Jahren.
Es sind nicht die Kinder, welche schon im Kindergarten anderen den Status eines Außenseiters geben. Es sind Eltern, welche mit den fremden Einflüssen, mit einer anderen Sozialisierung, mit einem anderen Wertesystem nicht immer gut zurechtkommen. Ihre Kinder sollten den eigenen Blick nicht schließen müssen, sondern die Eltern müssten den ihren weiten lernen.
Ich kann mich noch gut erinnern an meine Kindheit, als die italienischen Gastarbeiter in die Schweiz kamen, erwünscht und angeworben, doch nur als Gäste für ungastliche Arbeiten vorgesehen, die kein Schweizer machen wollte. Doch dann hat es ihnen in der Schweiz gefallen. Sie sind geblieben. Sie wollten plötzlich keine Gäste mehr sein, sondern Schweizer Staatsbürger. Überfremdungsinitiativen waren die Folge. Ein beschämendes Kapitel Schweizer Geschichte, das von Zeit zu Zeit wieder aufflammt. Leider schürt aktuell eine nationalistisch ausgerichtete Partei in der Schweiz wieder Ängste, das Land könnte überfremdet werden.
Auch meine Eltern fanden damals den Umgang mit italienischen Freundinnen nicht so passend für ihre Kinder.
Meistens waren diese Mädchen auch noch schlechte Schülerinnen. Damals ist genau hingeschaut worden, dass in Übertrittsklassen nicht zu viele italienische Schüler waren, damit das schulische Niveau nicht darunter zu leiden hatte. Für uns Kinder hatte der Kontakt mit diesen »Gastarbeiterkindern« immer etwas Geheimnisvolles und den Geruch des Verbotenen. Ich glaube inzwischen überhaupt nicht mehr an die Mär, dass diese Kinder »dümmer« waren als wir Schweizer Kinder. Sie hatten es nur viel schwerer. Sie wurden
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