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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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Inzwischen weisen Forschungsergebnisse für eine gesunde Entwicklung unserer Kinder in eine ganz andere Richtung, nämlich dorthin, wo der »Faktor Beziehung von entscheidender Bedeutung ist«. (Bovensiepen/Hopf/Molitor 2002, S. 9)
    Ein großes Anliegen dieses Buches ist es, immer wieder zu demonstrieren, wie sehr biochemische und psychische
Prozesse ineinandergreifen und einander gegenseitig beeinflussen. Unser Gehirn ist nicht einfach ein genetisch festgeschriebenes Organ, sondern von einer unerhörten Plastizität, was zwischenmenschliche Einflüsse und Erfahrungen anbelangt, und somit fähig zu Veränderungen. Die Antwort auf die Modediagnose ADHS muss somit nicht das Modemedikament Ritalin sein, weil es die wunderbaren Lernmöglichkeiten eines Kinderhirns zu wenig berücksichtigt. Die Pharmaindustrie und diejenigen Psychiater, welche ADHS nach wie vor als Ausdruck einer minimalen zerebralen Dysfunktion beschreiben und bevorzugt medikamentös behandeln, verleugnen die nachweisbaren zwischenmenschlichen Konflikte, wie sie in Familien mit einem ADHS-Kind zwar vorhanden, doch durchaus zu bewältigen sind.
    Ich möchte hier einen Appell an die Eltern, Lehrer und Kinderärzte richten, nicht leichtfertig zu einer medikamentösen Lösung zu greifen oder eine solche zu empfehlen, umso mehr, als noch keine Langzeitstudien zu mit Ritalin behandelten Kindern vorliegen. Wie die hirnorganischen Veränderungen sich beim kindlichen Gehirn durch eine mehrjährige Medikamenteneinnahme des Psychopharmakums Ritalin auswirken, ist noch unklar, doch gibt es Anzeichen dafür, dass das Risiko, später am Parkinson-Syndrom zu erkranken, dadurch erhöht wird.
    Auf der Frontseite der renommierten schweizerischen Tageszeitung Tagesanzeiger vom 25. Februar 2009 stand in großen Lettern: »Rätselhafter Boom von Ritalin - Politiker fordern Aufklärung«. In diesem Artikel wurde die besorgniserregende Zunahme von Ritalinverschreibungen kritisiert. Innnerhalb eines Jahrzehnts hätte sich der Schweizer Ritalinmarkt verachtfacht. Allein im Jahr 2008 hätte die Verschreibung von Ritalin, Medikenet und Concerta (alle auf dem Grundstoff Methylphenidat basierend) im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent zugenommen! Kinderärzten und
Kinderpsychiatern wurde in diesem Artikel vorgeworfen, sich von der chemischen Industrie für Ritalinwerbung bezahlen zu lassen. Mehrere Parlamentarier forderten vom Bundesrat Auskunft darüber, warum dieses Medikament »so reißenden Absatz« finde. »Die schweizerische Heilmittelkontrolle Swissmedic geht davon aus, dass der Markt für diese starken Stimulanzien auch in Zukunft ungebrochen wachsen wird.« Hoffen wir es für unsere Kinder nicht, erlaube ich mir diesen bedenkenswerten Artikel zu kommentieren.
    Ich habe eben selber etwas leichtfertig vor einem leichtfertigen Umgang der Eltern, Lehrer und Kinderärzte mit Ritalin gewarnt. Natürlich machen es sich die Eltern nicht leicht damit. Sie sind oft am Rand der Erschöpfung, sehen sich unter Druck von schulischer Seite, haben nicht selten sogar eine Nahrungsumstellung für das betroffene Kind vorgenommen - ohne Erfolg. Von daher verstehe ich, dass Eltern oft zu diesem vermeintlich letzten Strohhalm greifen.
ADHS - eine Maske
    Evelyn Heinemann und Hans Hopf sprechen von der »Maskierung der Hyperaktivität als hirnorganisches Leiden«. (Heinemann/Hopf 2008, S. 152) Ich verwende in meiner Praxis selten die Diagnose ADHS, weil mir andere Zusammenhänge in der Psychodynamik deutlich mehr imponieren und mich schließlich auch zu anderen Diagnosen führen. Die Diagnose ADHS ist einfach sehr populär.
    Um es vorwegzunehmen: Motorisch unruhige und konzentrationsgestörte Kinder, betroffen sind übrigens viermal so häufig Jungen, haben immer Grund zu diesem Verhalten. In ihrem direkten Umfeld Familie, Schule und Freundeskreis gibt es Dinge, die sie in ihrer Aufmerksamkeit ablenken und ihren motorischen Bewegungsdrang auslösen. Häufig begegnen mir Kinder mit kürzerer oder längerer
Trennungs- und Verlusterfahrung, die sie altersbedingt nicht mit Trauer oder Sprache bewältigen, sondern mit heftiger Ablenkung und Reizsuche abwehren müssen.
    Auffällig oft finden wir alleinerziehende Mütter oder psychisch wenig präsente Väter, die den Jungen wenig Hilfestellung geben bei der notwendigen Ablösung von der Mutter. Der übergroßen emotionalen Nähe zur Mutter wird dann durch heftige motorische Unruhe und Betriebsamkeit zu entkommen versucht - ein Umstand, der es diesen

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