Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

unrecht. Wenn der Partner ein Stück Glas geworden ist, wo er doch früher einmal der
anziehende und geheimnisvolle Unbekannte war, der die eigenen Fantasien angerührt hat, kann man das Glas gleich wegwerfen. Was wollen zwei Menschen, die jedes Geheimnis füreinander verloren haben, noch zusammen erleben? Wie kann es überhaupt sein, dass ein Mann und eine Frau ihr Geheimnis verlieren? Sie sind doch Geheimnis per se, weil sie einander fremd sind, weil sie nicht dem gleichen Geschlecht angehören. Dieses »Durch-und-durch-Kennen« kann nur passieren, wenn ein Paar angefangen hat, auf den es ewig trennenden Unterschied des Geschlechts zu verzichten. Wenn das Paar dann allerdings sagen würde: »Das interessiert uns auch nicht mehr, dass wir Mann und Frau sind, wir sind einander wunderbare Freunde«, dann würde ich sie gehen lassen, in der respektvollen und ruhigen Erkenntnis, dass ein Paar selber bestimmt, was es leben will. Und ein Paar, wo jeder dem anderen wirklich Freund sein kann, ist fern der Geheimnislosigkeit.
    Doch die Wirklichkeit ist meistens so, wie die oben beschriebene Frau es empfunden hat, deren Mann die Freundinnen der Frau so aufmerksam beobachtet und mit Komplimenten für ihre weiblichen Reize erfreut und der Ehefrau das Geld in die Hand drückt, wenn sie mithilfe ihres Mannes die eigene Weiblichkeit erforschen und wieder beleben möchte.
    In Liebesfluchten , diesem herrlichen Erzählband von Bernhard Schlink, warnt Sarah in der Erzählung »Beschneidung« ihren Geliebten Thomas:
    »Hoffentlich hörst du nie auf, mit mir zu reden.«
    »Warum sollte ich?«
    »Weil du meinst, du weißt schon, was in meinem Kopf vor sich geht, und es von mir nicht mehr wissen willst. Wir kommen aus zwei verschiedenen Kulturen, wir sprechen zwei verschiedene Sprachen, auch wenn du aus deiner gut in meine übersetzt, wir leben in zwei verschiedenen Welten - wenn wir aufhören, miteinander zu reden, treiben wir auseinander.« (Schlink 2000, S. 213)

    Er trennt sich dann von ihr, weil sie nicht mehr wissen wollte, wer er ist.
     
    Verführung ist nichts Billiges. Verführung erfordert Kreativität. Verführung will die Gleichgültigkeit zwischen den Geschlechtern hinter sich lassen und erneut auf Entdeckungsreise gehen. Es ist dabei keine Reise, die zur Abwechslung vom grauen Ehealltag in neue Länder mit exotischem Flair unternommen wird, sondern sie führt direkt zum Partner hin. Nur - sie müsste halt unternommen werden, müsste gewagt werden.
    Paare, die diese alte Entdeckungsreise neu aufnehmen, verlieren nicht ihr Interesse an der Nachkommenschaft. Sie sind durch ihr erneutes Reisen auch nicht erschöpfter als vorher. Sie erhalten nur neue Eindrücke voneinander, die ihnen den Alltag versüßen. Ich kenne kein einziges Paar, das auf dieser Sinnenreise, die manchmal nur ein paar Minuten oder eine kurze Geste lang aufblitzen kann, als Elternpaar Federn gelassen hat. Ich kenne auch keine Kinder, die sich darüber beschwert hätten, dass ihre Eltern wieder auf Paarzeit bestehen. Irritationen gibt es meist nur am Anfang. Ein Siebenjähriger mault unzufrieden, dass die Eltern »wieder ein tolles Wochenende machen.... die machen mit uns nie ein tolles Wochenende«. Kinder sind Spezialisten, wenn es darum geht, den Eltern Schuldgefühle zu bereiten. Gerade dieser Junge hat’s halt mal probiert. Sehr bald schon hat es ihm gefallen, dass die Eltern wieder gemeinsam unterwegs sind.
    Lassen wir eine Entdeckungsreise einmal anfangen. Sie kann damit beginnen, dass die gewohnten Abläufe plötzlich durch kleine Veränderungen unterbrochen werden. Am Frühstückstisch erwartet den Ehemann ein Briefumschlag. Merkwürdig, da liegt doch nie ein Brief... Er öffnet ihn. Eine Karte mit einem reizvollen Frauenkopf oder Männerkörper
oder einer Ansicht von südlichen Landschaften oder, oder... fällt heraus. Die Neugier ist erwacht. Die Karte wird umgedreht. In vertrauter Handschrift steht vielleicht nur ein Satz:
    Ich wünsche Dir einen guten Tag.
Ein Kuss zum Tagesbeginn.
Vielleicht kommst Du heute Abend mit einer Blume
nach Hause... ich fang doch gerade wieder an, das
Wünschen zu lernen.
Ich mag Dich - immer noch.
Heute hast Du einen Wunsch frei.
Glaubst Du noch an Märchen?
Wie sieht denn Deine Traumfrau aus? Erzähl mir doch
davon...
Ich wollte immer einen verwegenen Mann... jetzt hab
ich vergessen, wie der aussieht.
Ich denk heute an Dich... Deine Gefährtin.
Hallo und guten Tag sagt eine, die heute neben Dir lag.