Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Julia hat erkannt, dass ihre Eltern sich um die Tochter gedreht haben und nicht um sich selber und ihre Paarbeziehung. Julia hat kein richtiges Paarbild, nur ein Elternbild. Und dieser Umstand kann ihr später Schwierigkeiten bereiten. Eltern glauben naiv, wenn ihre Kinder es schulisch geschafft haben, wobei damit meistens das Abitur vor ihrem geistigen Auge schwebt, dann hätten die Kinder das Wichtigste erreicht. Damit ihre geliebten Kinder es wirklich schaffen, später draußen im Leben und drinnen in der eigenen Familie, brauchen sie anregende Paarbilder. Liebesbilder sozusagen.
Um neue Liebesbilder in der Familie zu entwerfen, braucht es zunächst einen Abschied. Es muss Abschied davon genommen werden, dass hauptsächlich Familiengeschäfte bestellt werden müssen. Es ist offenbar ein großer und schwerer Abschied. Wenn Eltern bei einem Paarseminar vorgeschlagen wird, ein Wochenende allein zu verbringen, auf einer Hütte, in einem auswärtigen Hotel, bei einer Wanderung, in einem unbekannten Hotel in der eigenen Stadt, die sonst nur in Sachen Familie durchhetzt wird, kommen Einwände, strategische Überlegungen, leicht vorwurfsvolle Haltungen der Art »Das auch noch!«. Ganz selten folgt freudige Zustimmung oder die spontane Bereitschaft, so ein Paarwochenende auszuprobieren und zu planen. Zeitliche Hinderungsgründe werden ins Gespräch eingeschoben: »Am Wochenende sind wir froh, wenn mal nichts läuft, man sich ausruhen kann.« Oder finanzielle Einwände: »So ein Wochenende kostet!« Die teuren Klamotten der Kinder, ihr neuestes Handy, ihre anderen Hobbys kosten auch, liegt mir manchmal auf den Lippen. Und dann gibt es noch organisatorische Hinderungsgründe: »Wir haben leider keine Großeltern vor Ort.« Der Haupteinwand wird nicht gebracht:
Wir haben Angst.
Wir waren so lange nicht mehr allein.
Vielleicht können wir ohne die Kinder nicht mehr viel miteinander anfangen.
Vielleicht wird es langweilig.
Vielleicht sitzen wir dann da - und kein Zauber vergangener Tage will sich einstellen.
Vielleicht sollten wir dann miteinander schlafen.
Vielleicht haben wir große Erwartungen und werden enttäuscht.
Vielleicht gefalle ich meinem Mann nicht mehr.
Vielleicht wartet meine Frau nur, dass das Wochenende vorüber ist.
Es muss kein Zauber vergangener Tage wiederkehren. Es kann ein neuer Zauber entstehen. Die zahlreichen Vielleichts sind ernst zu nehmen. Doch sie auszuprobieren und vor allem anzusprechen, ist viel mutiger, als sie zu unterdrücken.
Manchmal kann man nur staunen über die große Kreativität mancher Väter und Mütter. In der Erziehungsarbeit ist oft ungemein viel Schöpferisches anzuerkennen. Den Eltern ist manchmal gar nicht bewusst, wie originell sie gerade bei einem Kind reagiert haben. Doch über originelle Ideen in der Partnerschaft wird selten ein Wort verloren. Auch nicht nebenbei. Die Kinder werden mit vielen guten und einfühlsamen Ideen bei Laune gehalten. Ihre Entwicklung wird im Auge behalten. Aber wann ist das letzte Mal eine Partnerschaftsidee dem einstigen Geliebten zugeflossen? So eine Frage bringt Eltern in Verlegenheit oder in eine sich im Gespräch manchmal länger hinziehende, trotzige Erinnerungsarbeit.
»Vor vier Monaten, es muss um Pfingsten herum gewesen sein, da wollte ich mit dir ins Kino, Irina Palm , erinnerst du dich? Du hast gesagt, seit wann willst du mit mir ins Kino?
Das war’s, nein, du hast noch gesagt, worum geht es, und dann kam: ›So ein komischer Film, nein danke.‹« Oder eine Frau erinnert eine Situation, in welcher sie ihren Mann gebeten hat, mit ihr »ein bisschen shoppen zu gehen«, und er ihr daraufhin Geld in die Hand gedrückt hat. Er kann sich daran nicht erinnern, sie sehr wohl, denn sie hat danach das Geld auf ihr Konto eingezahlt. Aus Enttäuschung. Etwas verschämt erzählt sie, sie beide hätten das früher ab und zu gemacht, zusammen shoppen gehen, ihr Mann habe ihr gerne zugeschaut, wenn sie Kleider anprobiert habe, und es nerve sie, wenn er jetzt ihren Freundinnen Komplimente mache zu deren Kleidung, aber keinerlei Notiz davon nehme, wie sie herumlaufe. »Wenn meine Freundin gesagt hätte, he, Peter, du verstehst doch was von Mode, kommst du mit und berätst mich beim nächsten Kauf, du hättest mit leuchtenden Augen Ja gesagt. Und mir drückst du das Geld in die Hand.« Frau M. laufen die Tränen herunter. Diese Tränen brennen in der dritten Anwesenden, mir, wieder einmal die Erkenntnis ein, dass hinter jeder Mutter eine
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