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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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Hast Du heute Abend noch einen Termin frei?
Hören wir uns in den nächsten zwei Tagen mal Deine
Lieblingsmusik an. Ich bin dabei.
Ich hab lange nicht mehr getanzt.
Du gefällst mir immer noch.
Was ich Dir schon lange sagen wollte: Die blaue Jeans
steht Dir verdammt gut...
    Es ist nur eine kleine Karte. Es steht nur ein Satz darauf, schnell geschrieben, rasch erledigt. Doch die Wirkung reicht über den Tag hinaus. Die Taxifahrerin, der Heimwerker, die Trösterin vom Dienst, der Familienfinanzier, die Familienchefin, die Krankenschwester, der Machtwortsprecher sind mit dieser kleinen Karte aus ihren Rollen gefallen, die alle Beteiligten leidlich auswendig gelernt haben und manchmal bis zum Überdruss gewohnt sind zu spielen. Rollen, die allen
ein wenig langweilig geworden sind. Aber andere hat das Familienskript nicht mehr enthalten.
    Also muss man neue und bessere Drehbücher schreiben. Wie sagt die Hauptfigur Gregorius in Nachtzug nach Lissabon : »Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben, was in uns ist - was geschieht mit dem Rest?« (Mercier 2006, S. 58) Der riesengroße Rest ruht und wartet darauf, dass er zum Leben erweckt wird.
    Der Tag hat besser angefangen als viele früheren. Er geht weiter. Sie ruft in seinem Büro an oder umgekehrt, er bei ihr: Lassen wir ihn für dieses Mal aktiv werden!
    »Ich hab Lust, mit dir essen zu gehen, passt es dir?« Nach dem unerwarteten Anruf des Mannes, der einmal ihr Geliebter war und jetzt schon so lange Ehemann heißt, ruft sie die Schwiegermutter oder die eigene Mutter an. Sie müsse dringend weg über Mittag, ob die Oma Zeit hätte, die Kinder zu betreuen, wenn sie aus der Schule kommen. Sie nennt keinen Grund, »dringend« ist genug. Die Oma kann nicht. Sie ruft die Mutter einer Klassenkameradin ihrer jüngeren Tochter an. Kein Problem, »klar können beide kommen«.
    Ihr fällt der Secondhand-Exklusiv-Laden ein, den sie schon lange nicht mehr von innen gesehen hat. Die Kleider dort sind nicht neu, auch nicht teuer, aber immer noch schön, und ein besonderes Stück ist fast immer darunter. Dort angekommen, bewegt sie sich mit einer Leichtigkeit vom Kleiderständer zur Garderobe und wieder zurück, wie schon lange nicht mehr. »Es macht ja richtig Spaß, mich mal wieder auszuprobieren«, schießt es ihr durch den Kopf. »Heute finde und kauf ich ein ›Sieh-mich-an-Kleid‹... hätte ich schon früher mal machen können!« Sie entscheidet sich für ein leicht dekolletiertes, luftiges Trägerkleid in Gelb. Gelb hat sie fast zu tragen vergessen. Überhaupt haben Farben keine so große Rolle mehr gespielt in ihrem Leben. Dann kauft sie sich einen Lippenstift, ein ziemlich kräftiges Rot. Wann hat sie sich das
letzte Mal geschminkt? Es muss ziemlich lange her sein, sonst hätte sie noch einen Lippenstift zu Hause liegen. Der Gedanke an den fehlenden Lippenstift zu Hause... und es ist ihr nicht einmal aufgefallen! Aufgefallen sind ihr nur die vielen Schminkutensilien ihrer 17-jährigen Tochter. »Mein Gott, gibst du viel Geld aus für dieses Zeug, Lidschatten, Kajalstifte in allen Farben, kussechte Lippenstifte...« Und die zehnjährige Tochter schleicht auch schon ganz fasziniert um den Schminktisch der großen Schwester herum, der wie ein Altar geschmückt ist.
    Sie holt, wieder zu Hause, die Schuhe mit den Absätzen hervor. Die streift sie sich sonst höchstens über, wenn ein Theaterbesuch ansteht - was selten der Fall ist. Die halblangen Haare verdienen auch etwas Aufmerksamkeit. Normalerweise fallen sie halt einfach halblang. Sie könnte sie mal anders tragen, hochgesteckt oder aus dem Gesicht gekämmt oder mit einer dekorativen Haarspange festgehalten. Ausprobieren. Merkwürdig, wie viel Spaß ihr dieses Herumspielen mit den Haaren macht. Werde ich jetzt albern? Wenn meine Kinder mich so sehen könnten... die lachen sich ja tot. Vielleicht käme dann so eine blöde Bemerkung wie: »Mama, du bist alt, überlass das uns... sieht doof aus, wenn du dich so auftakelst!« Und wenn schon, wer sagt eigentlich, dass nur pubertierende Töchter so ein Aufhebens um sich machen dürfen? Eine plötzliche Lust ergreift sie, eine Unbeschwertheit, wie sie lange nicht mehr da war. Sie wird absichtlich etwas zu spät kommen zum vereinbarten Treffpunkt im Biergarten neben dem Arbeitsplatz ihres Mannes. Er soll sie kommen sehen.
    Sein Anruf bei seiner Frau beflügelt ihn. »Die Idee hätte mir schon früher kommen können. Und sie hat, Überraschung,

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