Damon Knights Collection 2
schlug die Richtung des zunehmenden Mondes ein. Der Mexikaner stolperte, Spanisch murmelnd, hinter ihm her.
Zum zweitenmal erreichte Kinross nun die Anhöhe, und der Mond hing jetzt voller rechts über dem Horizont, in der gleichen Richtung, in die Kinross schon einmal gegangen war. Er schritt weit aus, der Mexikaner folgte schweigend. Einmal stieß Garcia einen Schrei aus und zeigte rechts in die Tiefe. Kinross schaute hinab und erblickte weit unten die Öffnung der Höhle, die winzige Lichtung und den gewaltigen Hang, der sich von dort bis hinauf zu ihnen wölbte. Der Mondschein versilberte die dunklen Baumkronen.
Unterwegs erzählte Kinross Garcia seinen Traum. Der Mexikaner zweifelte nicht an dessen Echtheit. Kinross warnte ihn vor der besonderen Zeitlosigkeit der Erfahrung außerhalb der Rückkehrschranke. »Es ist so, als wäre alles vor zwei Minuten passiert«, sagte er.
»Ja«, sagte Garcia. »Sieh dir nur diesen Mond an, dreiviertel voll. Vielleicht sind wir schon einen Monat unterwegs.«
»Oder eine Minute«, sagte Kinross.
Es wurde nicht derselbe Weg wie damals. Auf der sanft gerundeten Hochebene, an die er sich erinnerte, stellte er fest, daß sie eine scharfe Biegung nach rechts machten und einen sanften Hang hinaufstiegen. Dann neigte sich das Land zur anderen Seite, und sie überquerten flache Schluchten, auf deren Grund Wasser floß. Das Land wurde rauher, die Schluchten wurden tiefer, bis Kinross, als sie eine davon überquerten, sah, daß sie direkt zum Mond führte. Sie folgten dem Bachbett in knöcheltiefem Wasser, statt hinauf in die Schlucht zu klettern.
Die Ufer waren aus feuchtem, dunklem Gestein und wurden steiler und höher. Der Bach wurde schmaler und knietief, und die Strömung zerrte so heftig an ihnen, daß sie gezwungen waren, sich an die Steine zu klammern, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das spitze V der Schlucht vor ihnen bettete den Vollmond fast ein, und Kinross konnte das ferne Tosen eines Wasserfalls hören.
»Sieht vor uns schwierig aus, Garcia«, rief er dem zehn Fuß hinter ihm watenden Mexikaner zu. »Paß auf!«
Er ging weitere hundert Meter dem zunehmenden Getöse entgegen und bog um einen Felsvorsprung, gegen den das Wasser wütend strudelte. Die Kraft der Strömung beschleunigte sich plötzlich, riß beinahe die Beine unter ihm weg, so daß er sich an den Fels pressen mußte und Garcia eine Warnung zurief.
Über die spiegelglatte, geäderte Schwelle des Wasserfalls zwanzig Fuß vor sich schaute Kinross in einen viele Meilen breiten, steilen, trichterförmigen Abgrund. Das unter gewaltigem Rauschen hinabstürzende Wasser säumte den Rand mit Perlen und rann in Schnüren die Seiten hinunter. Der Vollmond, senkrecht darüber, tauchte das Ganze in Silber. Auf dem Boden des Abgrunds war noch ein Mond, was, wie Kinross flüchtig dachte, ein widerspiegelnder Teich oder See sein mußte.
Garcia rief hinter ihm. »Was siehst du, Kinross? Warum bist du stehengeblieben?«
»Ich sehe noch einen Schritt und dann den Tod, glaube ich«, rief Kinross zurück. »Es ist ein Wasserfall. Wir müssen, wenn irgend möglich, hier das Ufer hinaufsteigen.«
Er rührte sich nicht, sondern starrte in den Abgrund. Plötzlich drängte es ihn, sich ihm preiszugeben, sich vom Wasser über die Schwelle spülen zu lassen. Es kam abrupt und überwältigend, fast wie ein sexueller Trieb, ein heftiger Angriff auf seinen Geist. Er klammerte sich verzweifelt an die Felswand und sandte ein Stoßgebet empor: »Heilige Mutter Gottes, steh mir bei.«
Die immer noch mächtige Verlockung zog sich ein Stück zurück. »Garcia«, rief er, »steig um Himmels willen hinauf. Sprich mit mir.«
»Hier ist eine schräge Kante«, sagte Garcia von oben. »Komm zu mir, dann gebe ich dir eine Hand.«
Kinross tastete sich um den Felsvorsprung zurück und kletterte nach oben, um sich zu Garcia zu gesellen. Der Mexikaner übernahm die Führung auf dem schmalen Grat.
»Vor uns liegt etwas, bei dem dir der Atem stockt«, warnte Kinross ihn. »Ein Abgrund. Warte nur, bis du ihn erblickst. Und wenn du es tust, nimm deine ganze Kraft zusammen.«
Garcia brummte und stieg weiter. Der Grat hörte auf, und der Weg wurde noch schwieriger und gefährlicher. Dann standen sie auf einer felsigen Landzunge, die an drei Seiten steil in den weiten Abgrund abfiel, der sie überall umgab.
»Madre de Dios!« stieß Garcia hervor. Er wiederholte es mehrmals, sonst aber hatte es ihm die Sprache verschlagen. Beide
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