Damon Knights Collection 2
Männer starrten schweigend in den Abgrund. Schließlich hob Garcia die Hand und flüsterte: »Horch!«
Kinross horchte. Er hörte ein Knacken im Gestrüpp und herabprasselndes Geröll. Es kam von links, offenbar aus nicht allzu großer Entfernung.
»Etwas kommt aus dem Abgrund herauf«, flüsterte er.
»Was denn? Kinross, wir sind nicht mehr allein in dieser Welt.«
»Wir müssen näher heran«, sagte Kinross. »Feststellen, was es ist. Geh vorsichtig weiter.«
Sie pirschten sich an das Geräusch heran, wobei sie sich von der Landzunge zurückzogen und dem Rand des Abgrunds folgten. Als sie sich der Quelle des Geräusches näherten, wurde das Gestrüpp dichter und hüfthoch, so daß sie unvermeidlich selbst Geräusche machten. Dann war alles still, und Kinross befürchtete schon, daß ihre Beute gewarnt war, bis er einen keuchenden, wimmernden Laut hörte, der seine Nerven bis zum äußersten spannte. Sie schlichen näher. Jetzt packte Garcia ihn beim Arm, duckte sich, und zog ihn zu sich hinunter.
Kinross starrte angestrengt in die Richtung, in die der Mexikaner deutete. Plötzlich hob sich eine verschwommene Form von dem silbrigen Licht und Schatten ab, und er erblickte keine zwanzig Meter vor sich eine menschliche Gestalt. »Wir wollen sie fangen«, bedeutete er Garcia mit Zeichen. Der Mexikaner nickte. Beide Männer sprangen auf und stürzten los.
Kinross’ längere Beine ließen ihn als ersten ankommen. Die Gestalt richtete sich auf und flüchtete ein oder zwei Schritte, ehe er sie im Sprung zu Boden riß. Einen Sekundenbruchteil später mischte der untersetzte Mexikaner sein beträchtliches Gewicht in das Gewirr der Arme und Beine, und dann stieß das Opfer einen verzweifelten, angstvollen Schrei aus. Kinross war wie elektrisiert.
»Laß los, Garcia«, befahl er. »Steh auf. Es ist eine Frau!«
Sie sei Mary Chadwick und habe drei starke Brüder, die jeden Mann in Queensland zusammenschlagen könnten, und sie, Kinross und Garcia, seien Bestien und Wilde, und sie sollten sie gefälligst sofort nach Hause bringen, sonst hätten sie nichts zu lachen. Dann klammerte sie sich an Kinross und weinte hysterisch.
Während Kinross sie linkisch zu trösten versuchte, wurde es Tag, weniger jäh als sonst, aber immerhin schnell genug, um Kinross daran zu erinnern, wie unerklärlich immer noch die Zeit verrann. Das Licht war hell und grell, und er sah zum erstenmal die Sonnenscheibe. Die vertraute Wolkenschicht war verschwunden, der Himmel klar und blau. Der Anblick der beiden bärtigen Männer flößte der Frau nicht gerade Vertrauen ein.
Sie schien noch recht jung zu sein und trug Reitkleidung, Khakihemd und -hose, Schnürstiefel, und wirkte groß und üppig. Honigfarbenes Haar fiel lose auf ihre Schultern. Ihre vom Weinen geschwollenen Augen waren tiefblau mit einem leicht violetten Ton. Ihre helle Haut war von der Sonne mattgold gebräunt, und Sommersprossen sprenkelten den Rücken ihrer kräftigen Nase.
Sie gewann rasch ihre Fassung wieder. »Wer sind Sie?« fragte sie mit klarer, aber tiefer Stimme. »Was ist das für ein Ort? Ich habe in den Coast Ranges noch nie etwas davon gehört.«
Die Männer stellten sich vor. Kinross versagte kläglich, als er ihr die Beschaffenheit der Welt um sie herum zu erklären versuchte.
»Schiffe? Seeleute? Stuß!« rief sie aus. »Sie behaupten, es selbst nicht zu verstehen, also hört mir mit diesem Quatsch auf. Wir brauchen nur loszumarschieren, bis wir eine Spur finden oder Rauch sehen oder … ach, das wissen Sie ja alles selbst.«
»Okay, wir haben uns also verirrt«, gestand Kinross ihr zu. »Wir sind vermutlich irgendwo in Australien?«
»Ja, in Queensland, irgendwo bei der südlichen Gabelung des Herbert River. Ich bin ausgeritten und muß eingeschlafen sein … Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo mein Pferd ist.«
Kinross und Garcia wechselten Blicke. »Entschuldige bitte, Mary«, sagte er Mexikaner, und seine schwarzen Augen funkelten vor Erregung. »Ich muß eine Minute mit meinem Freund hier verrücktes Zeug reden.« Dann zu Kinross. »Wie ist das nur möglich? Laut den Soldaten von Tibesti soll das Tor im Indischen Ozean sein. Meinst du, daß diese Welt mehr als ein Loch hat?«
»Darüber wundere ich mich auch. So wie ich es immer verstanden habe – ohne je daran zu glauben, vergiß das nicht! –, überschneiden sich die beiden Welten nicht. Sie haben nur einen einzigen Berührungspunkt, nämlich das Tor …«
»Nun gut, wenn es sich auf
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