Danach
stehen lassen? Kommen Sie doch rein und setzen Sie sich!«
Wir betraten ein helles, freundliches Wohnzimmer, wo wir in den breiten geblümten Sofas versanken. Der flauschige Teppichboden unterstrich noch das Gefühl, in einer behaglichen, geschützten Höhle zu sein, und die perfekt eingestellte Klimaanlage verwandelte das Innere des Hauses in eine eigene kleine Biosphäre. Alles war makellos sauber und roch unaufdringlich nach der künstlichen Frische eines Teppichdeodorants.
Ich war verblüfft, weil ich davon ausgegangen war, dass Sylvia aus schwierigen Verhältnissen stammte, vielleicht sogar missbraucht worden war. Schließlich musste irgendetwas ihr Selbstvertrauen so zerstört haben, dass sie für jemanden wie Jack empfänglich war. Aber dieses abgeschiedene, gemütliche Nest in der amerikanischen Provinz stellte mich vor ein Rätsel.
Dan Dunham drehte sich zu seiner Frau um, die ihn erwartungsvoll ansah.
Plötzlich wünschte ich mir, wir wären nicht gekommen, um dieses liebenswerte Pärchen aufzuschrecken, dessen Trauer um die geliebte Tochter offenkundig war. Für diese beiden war Sylvia genauso verloren, wie ich es vor all den Jahren für meine Eltern gewesen war. Ich warf Tracy einen Blick zu und sah, dass sie dasselbe dachte. Vor uns standen zwei weitere Opfer von Jack Derber. Eine andere Art von Opfer zwar, aber dennoch Opfer.
»Erline, die beiden sind wegen Sylvia hier«, begann Dan. »Ihr ist nichts passiert«, fügte er schnell hinzu, »aber die beiden Damen suchen sie, um ihr ein paar Fragen zu stellen. Weil sie vielleicht eine wichtige Zeugin ist.«
»Tja«, antwortete Erline und streckte den Rücken durch, bevor sie mit abwesendem Blick ins Leere starrte. »Ich fürchte, wir sind Ihnen diesbezüglich keine große Hilfe. In letzter Zeit hatten wir kaum noch Kontakt zu ihr.«
Dan übernahm für seine Frau: »Es ist jetzt schon über sieben Jahre her, dass sie von hier fortgegangen ist, um sich dieser religiösen Gruppe anzuschließen. Keine Ahnung, warum sie dafür so weit weggehen musste. Wir haben hier selbst jede Menge Glaubensgemeinschaften, schließlich gehören wir zum Bibelgürtel.«
»Wie … wie kam es dann, dass Sylvia sich mit einer so weit entfernt ansässigen Kirche eingelassen hat?«
Er seufzte. »Per Computer. Wir haben zwar keinen eigenen hier auf der Farm, aber sie hat Stunden in der Stadtbücherei zugebracht.«
»Sie ist also online auf die Gruppe gestoßen?«, fragte ich überrascht.
Er nickte. »Wenn sich Sylvia einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war kein Kraut dagegen gewachsen. Sie war schon über zwanzig, als sie von hier wegging, daher hat sie sich von uns nichts mehr sagen lassen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte gehofft, dass sie vorher zumindest ihr Grundstudium fertig macht.«
»Was hat sie denn studiert?«, fragte Tracy.
Erline seufzte. »Religion. Etwas anderes hat sie nicht interessiert. Ich musste mit ansehen, wie sie sich völlig davon vereinnahmen ließ. Das ist doch nicht normal für ein Mädchen ihres Alters, habe ich gedacht, aber jeder muss schließlich auf seine Weise glücklich werden. Man kann seinen Kindern die Entscheidungen nicht abnehmen.«
»Aber irgendwann wurde es zu viel«, fuhr Dan fort. »Sie hat nur noch gebetet, ist zu Erweckungstreffen gegangen, hat sich nachts zum Beten in die Kirche einschließen lassen und so weiter. Anfangs dachte ich, sie hätte sich in den jungen Priester aus Sweetwater verliebt. Ein netter junger Mann, trotz seines Berufs.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Aber dann hat er plötzlich Sue Teneval aus Andalusia geheiratet.«
Dan und Erline starrten in verschiedene Richtungen, überwältigt von den Erinnerungen an ihre Tochter. Ich fragte mich, was genau Sylvia an den öffentlichen Computern in der Bücherei gesucht und gefunden hatte.
Dann riss sich Erline aus ihren Gedanken und sagte: »Wie unhöflich von mir! Sie beide müssen einen langen Weg hierher zurückgelegt haben. Darf ich Sie zum Abendessen einladen?«
Tracy nickte mir kaum merklich zu, und ich nahm Erlines Einladung dankend an.
Während sie in die Küche zurückging, um sich um die Vorbereitungen zu kümmern, führte uns Dan auf der Farm herum. Gemeinsam traten wir in die immer noch drückende Hitze hinaus, um den Grund und Boden zu erkunden, auf dem Sylvia aufgewachsen war. Irgendwie hoffte ich, durch den Anblick der Felder und Wiesen, auf denen sie ihre Jugend zugebracht und von ihrer Zukunft geträumt hatte, so etwas wie eine
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