Dance of Shadows
damit an.«
Im Dunkeln sah er kleiner aus, und seine Schultern waren stärker gebeugt. Auch sein Haar schien länger, als sie es in Erinnerung hatte.Vanessa starrte auf die schwarzen Augenhöhlen seiner Maske und versuchte den metallischen Schimmer seiner Augen zu sehen, aber die Augenhöhlen blieben leer.
»Zieht euch die Schuhe aus. Alle!«
Alle um Vanessa herum begannen, sich die Schuhe von den Füßen zu ziehen, aber Vanessa warf Steffie einen zweifelnden Blick zu.
Steffie zuckte die Achseln. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie und schnüffelte an der roten Flüssigkeit, die verkrustet an ihren Schuhen klebte. »Das ist kein Blut. Es riecht eher wie … Ketchup.«
Einer der älteren Schüler musste das gehört haben, denn eine Stimme brüllte: »Du da. Vortreten!«
Ein weiterer Junge mit einer verkohlt aussehenden grauen Maske löste sich aus der Reihe der älteren Schüler. Er deutete auf Steffie. »Du wirst als Erste deine Markierung setzen.«
Schweigen lag über dem Raum. Der Junge mit der grauen Maske holte ein schmales Skalpell aus der Tasche. Die Klinge blitzte im Kerzenlicht. »Komm her!«
Alle wandten sich Steffie zu, aber falls sie Angst hatte, zeigte sie es nicht.
»Tu’s nicht«, flüsterte Vanessa, aber Steffie hatte sich schon die Schuhe von den Füßen gezogen.
Sie hob das Kinn und ging nach vorn. »Was soll ich tun?«
Der Junge hielt ihr das Skalpell hin. »Mach dir einen kleinen Schnitt in den Fußballen, bis du blutest. Dann setz deine Markierung, indem du den Fuß einmal quer über den Boden dort ziehst.« Der Junge trat zur Seite und wies auf die unlackierten Dielenbretter hinter sich.
Vanessa beugte sich vor und sah eine breite Reihe dunkelbrauner Streifen – mindestens hundert, die von der Mitte des Bodens aus nach rechts verliefen.
»Aber das tut doch weh!«, platzte jemand heraus. Vanessa erkannteTJs Stimme. »Ich find das total bescheuert. Dann können wir nicht mehr richtig tanzen!«
Andere fielen ein. »In einem Monat ist das Vortanzen«, sagte ein Junge. »Das versaut uns unsere Chancen … «
»Ruhe!«
Das war der Junge mit der grauen Maske. »Ihr werdet für uns bluten«, befahl er, und alle verstummten. »Ballett bedeutet, dass man sich zu Opfern verpflichtet. Also nimm jetzt das Skalpell und tu, was ich dir sage, sonst wird das Konsequenzen haben.«
Wortlos nahm Steffie das Skalpell und hob den rechten Fuß zum Knie, als würde sie an der Ballettstange üben. Sie sah zu Vanessa hinüber und zwinkerte ihr zu.
Nein
, formte Vanessa lautlos mit den Lippen, aber es war zu spät, denn Steffie stach sich schon in den Fuß. Jemand neben Vanessa schnappte nach Luft. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog Steffie das Skalpell so rasch wieder heraus, wie sie es hereingestoßen hatte. An seiner Spitze hing ein Tropfen Blut.
Die maskierten Schüler schlossen einen Kreis um sie und deklamierten etwas im Sprechgesang, das aber zu leise war, als dass Vanessa es hätte verstehen können. Steffie ging hinüber zur Wand und zog ihren Fuß über den Holzboden, bis sie eine dünne Blutspur hinterlassen hatte.
Sie trat zurück, und der Junge mit der weißen Maske ging zu ihr, in der Hand eine Mullbinde und Heftpflaster.
Zep
, dachte Vanessa und hoffte, er würde noch einmal zu ihr herüberschauen. Stattdessen beugte er sich vor und flüsterte Steffie etwas ins Ohr. Vanessa spürte einen Stich von Eifersucht, als sie sah, wie er sich hinkniete, Steffies verletzten Fuß in die Hand nahm und sie sanft verarztete.
Inzwischen hatten Elly, Blaine und fünf andere Schüler das Ritual vollzogen. Der Junge mit der weißen Maske wischte die Klinge nach jedem Schnitt mit einem alkoholgetränkten Tuch ab. Jetzt wandtesich der Junge mit der grauen Maske ihr zu. »Tritt vor«, sagte er mit heiserer Stimme und streckte ihr das Skalpell entgegen.
Barfuß trat Vanessa auf ihn zu. Die älteren Schüler schlossen ihren Kreis um sie und sagten murmelnd: »Du bist nicht gut genug. Du bist unwürdig.« Die Worte drangen dumpf durch ihre Masken. »Aus dir wird nie eine Tänzerin werden.«
Sie haben recht
, dachte Vanessa und schaute sie an. Das Kerzenlicht spiegelte sich auf ihren Masken wider, und es sah aus, als würden sie lächeln.
Vanessa packte das Messer. Jetzt würde sie endlich nachempfinden können, wie Margaret sich einst gefühlt hatte. Sie flüsterte den Namen ihrer Schwester, hob die Zehen in einem anmutigen
passé
zum Knie und ritzte sich in den Fußballen.
Ein stechender, heftiger
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