Dance of Shadows
artifiziell.«
Schließlich schlug sie mit ihrem Stock auf die Ballettstange. »Halt! Alle aufhören! Ihr tanzt wie altbackene Strudel!«
Vanessa hätte beinahe gelacht, unterdrückte aber ihr Verlangen, als sie merkte, dass Hilda überhaupt nicht komisch sein wollte.
Hilda kniff die Augen zusammen. »Bis auf eine Ausnahme. Ich will, dass ihr alle Vanessa zuschaut, damit ihr seht, wie ein Tänzer allein durch seinen Willen erreichen kann, dass sich seine Glieder unterwerfen.«
Vanessa biss sich auf die Lippe, damit sie nicht lächelte, als sie ein Mädchen stöhnen hörte.
Im Spiegel konnte sie sehen, wie TJ seufzte. Sogar Steffie war vonder Stange zurückgetreten, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah ein bisschen ungeduldig aus. Der Einzige, der nicht aus der Fassung geriet, war Blaine. Er reagierte nicht, als TJ ihn anschaute und die Augen verdrehte. Stattdessen holte er tief Atem, schaute Vanessa aufmerksam an, in der Hoffnung, etwas von ihr zu lernen.
»Vierte Position«, sagte Hilda zu Vanessa.
Vanessa holte tief Luft, schaute geradeaus, versuchte die genervten Blicke ihrer Klassenkameraden zu ignorieren und fing an zu tanzen.
»Versteh mich nicht falsch – ich hab dich wirklich gern, und ich weiß, dass du nicht das Lieblingskind der Lehrer sein willst, aber deine Technik ist einfach perfekt«, sagte TJ zwischen zwei Schlucken aus ihrer Wasserflasche, als sie im Wohnheim die Treppen hochgingen. Ihr schwarzes Trikot war voller Schweißflecken. »Wir, der ganze Rest der Klasse, sind es doch, die Hilfe brauchen. Warum richtet der alte Besen ihre Aufmerksamkeit nicht auf uns?«
»Tja«, sagte Steffie und zog sich einen Pulli über. »Es ist fast so, als wollte sie uns gar nicht erst helfen, unsere Technik zu verbessern. Sie hat nur nach einer Ausrede gesucht, um auf dich zurückzukommen.«
Vanessa nahm ihre Tasche über die andere Schulter und schob sich die Haare hinters Ohr. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Auf der einen Seite konnte sie nicht anders: Sie war in absoluter Hochstimmung, dass Hilda sie für die beste Tänzerin hielt, und sie fand, dass sie dieses Lob auch verdient hatte. Schließlich hatte sie es sich ja auch hart erarbeitet. Aber auf der anderen Seite wollte sie nicht, dass die anderen sie für eine Streberin hielten. »Was wollt ihr denn eigentlich von mir?«, fragte Vanessa und schaute Blaine Hilfe suchend an. »Ich hab ja nicht darum gebeten. Ich tanze einfach nur.«
»Mach dir keine Sorgen, Mädchen, ich bin auf deiner Seite«, sagte Blaine, dessen Gesicht noch immer erhitzt war. »Ich hätte nie kapiert, wie die letzte Schrittkombination aussehen soll, wenn ich sienicht bei dir gesehen hätte. Alles steht und fällt mit der Drehung.« Er wandte sich an TJ und Steffie. »Wenn ihr Mädels nicht so viel mit den Augen gerollt hättet, hättet ihr vielleicht auch was von Vanessa lernen können.«
»Ja, ja, das wissen wir doch«, sagte TJ. »Vielleicht könntest du aber trotzdem ab und zu mal was vermasseln? Gib uns anderen auch eine Chance!«
Vanessa starrte auf den schmutzigen Flurteppich. »Ich glaube, das könnte ich schon … «
»Das war doch nur ein Witz!«, sagte TJ und knuffte sie. »In Wirklichkeit sind wir doch nicht auf dich sauer, sondern auf Hilda.«
»Sie überlegen offenbar, ob sie Vanessa eine Rolle im
Feuervogel
geben sollen«, sagte Blaine zu den anderen. »Warum sollten sie sie sonst so genau im Auge behalten?«
»Was?«, rief Steffie. »Ich glaub’s einfach nicht!«
»Igitt, ich nehme alles zurück!«, scherzte TJ, an Vanessa gewandt. »Ich hasse dich doch.«
Vanessa hob die Augenbrauen und fühlte sich merkwürdig schuldig, als sie daran dachte, was Josef in seinem Büro zu ihr gesagt hatte. »Hm – danke, Leute.«
»Ich glaube aber nicht, dass das möglich ist. Wir sind in der neunten Klasse. Wir sind viel zu jung, um eine Rolle zu kriegen«, sagte TJ.
»Du vielleicht«, sagte Blaine. »Ich werde alles daransetzen, dass ich einen Part bekomme, der besser ist als nur
Corps de ballet
. Selbst wenn ich dafür Josefs Wäsche waschen müsste.«
»Ich würde noch viel mehr tun«, sagte TJ und hob verführerisch eine Augenbraue.
Steffie grinste und wühlte in ihrer Tasche. »Vanessa, das wollte ich dir noch geben.«
Sie hielt ein zerknittertes Stück Papier hoch. Ganz oben darauf stand das Wort:
Besetzungsliste
.
Blaine wurde blass. »Das ist ja wohl nicht das, wofür ich es halte?« Er schnappte sich den Zettel. »Wie hast du denn die
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