Dancing Jax - 01 - Auftakt
Reißzähnen. Im nächsten Moment setzte es zur Verfolgung an.
Der Pfad verlief ein kurzes Stück weit ebenmäßig, dann, am Ende des Hügels, fiel er wieder ab. Emma wetzte die hintere Treppe hinunter. Dann rannte sie in Windeseile die nächste hinauf. Das Ungetüm hinter ihr stieß ein Brüllen aus, während es mit den Krallen Sand und Kiesel aufwühlte. Mit einem mächtigen Sprung überquerte es die Schlucht zwischen den zwei Hügeln und holte auf.
Schon hörte Emma, wie das Vieh immer näher kam. Sie hörte sein bösartiges Knurren, hörte, wie es die Zähne fletschte und die Kiefer knirschend zuschnappen ließ. Was zum Teufel war das? Und wo war es hergekommen? Panisch mobilisierte Emma ihre letzten Reserven, strengte sich an, wie noch nie in ihrem Leben. Das Bild des ausgeweideten Kaninchens fiel ihr wieder ein und sie rannte noch schneller.
»Dad!«, schrie sie. »Dad – wo bist du? Du nutzloses Arschloch!«
Oben auf dem hohen, mit kümmerlichem Gras bewachsenen Sandhügel zeichneten sich die Silhouetten des zu Tode verängstigten Mädchens und des Unholds, der sie verfolgte, gegen den Nachthimmel ab. Ein wildes Brüllen erschallte, dann stürzte sich der Jäger auf seine Beute. Die beiden Umrisse wurden zu einem. Der schrille Schrei des Mädchens zerriss die Luft über dem Naturschutzgebiet – die Kreatur hatte sich Emma geholt.
26
Die Tochter der Pikkönigin,
ist in ihren Adern Blut oder Wasser drin?
Emma Taylor öffnete blinzelnd die Augen. Ein dumpfes, schmerzhaftes Pochen wühlte in ihrer Schläfe. Durch ihre zusammengebissenen Zähne sog sie scharf die kalte Luft ein und zuckte zusammen. Sie war so unglaublich müde. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, wie Blei. Dann erinnerte sie sich.
Mit einem Schlag prasselte das Entsetzen wieder auf sie ein und sie setzte sich ruckartig auf. Nur wurde der Schmerz in ihrem Kopf dadurch noch schlimmer.
»Du hättest nicht weglaufen sollen«, schalt die Pikkönigin sie. »Mauger ist nicht sonderlich feinfühlig. Hätte man ihm nicht strikte Befehle erteilt … wer weiß, was er mit dir angestellt hätte.«
Emma sah sich benommen um. Sie lag am Fuße der Düne. Ihren Kleidern und Haaren nach zu urteilen, war sie vom Kamm bis ganz nach unten gerollt. Ihr wurde übel, als ihr auffiel, dass diese Hügelseite von der Straße abgewandt lag. Jetzt hatte sie keine Chance mehr.
Der riesige Pulk von Bekloppten hatte sich vor ihr versammelt. Auch Conor Westlake war dabei. Sie wünschte, sie hätte genug Kraft, um ihm noch einen Tritt zu verpassen. Nervös durchforstete das Mädchen die Schatten zu allen Seiten. Wo war es? Wo war dieses … grauenhafte Monster?
»Mauger ist weit weg«, versicherte ihr die Pikkönigin und machte eine vage Handbewegung zum Naturschutzgebiet hin. »Er jagt gerne Kaninchen. Und manchmal frisst er sie sogar. Manchmal reißt er sie einfach so zum Spaß in Stücke. Schon bald wird er sich größere Spielgefährten suchen.«
»Was ist das für ein Viech?«, fragte Emma, die bei dem Gedanken an die hässliche Fratze zitterte. »Irgendein fehlgeschlagenes Experiment? Zusammengenäht aus Zooabfällen, was? Einfach widerlich.«
»Er ist der Grollende Torwächter«, antwortete die Frau. »Man hat ihn erweckt, so wie auch andere Dinge erwachen und herübertreten sollen.«
»Verrückte, blöde Kuh! Du solltest dir lieber ’nen Chihuahua zulegen, Süße. Das würde viel besser zu dir passen.«
Doch die Pikkönigin hörte gar nicht zu. Sie wandte sich ab und der dicke Polizist nahm ihren Platz ein, Buch und Taschenlampe in den Händen.
»Lass es geschehen!«, wies die Frau an. »Falls sie noch einmal ausreißen will, wird Mauger vielleicht nicht so fügsam und gehorsam sein. Und wenn sie ihm mit ihrer kleinen Schere kommt … beißt er ihr womöglich einfach den Arm ab.«
Emma hatte sie gehört. Sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, doch innerlich bibberte sie förmlich. Was würden sie mit ihr machen? Wollten sie sie in kleine Stücke hacken, um daraus noch mehr Freakgestalten zu basteln? Was für ein dreckiger Kult war das? Irgendein Verein, der Frankenstein huldigte?
Der Polizist leuchtete mit der Taschenlampe auf die Buchseiten und ein erwartungsvoller Schauder durchzuckte die versammelte Menge. Als er vorzulesen begann, drang das wundervollste Geräusch auf der ganzen Welt an Emmas Ohr – das Dröhnen eines Automotors.
Hinter den Sandhügeln raste ihr Vater die View Point Road hinunter. Emma wand sich zappelnd
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