Dancing Jax - 01 - Auftakt
»Verrücktes Zeug«, antwortete sie schließlich. »Ich hab mir vor Angst fast in die Hosen gemacht und Miller ging’s auch nicht anders. Aber Jezza …«
»Was war denn?«
»Ich wünschte, ich wüsste es – oder vielleicht besser nicht.«
»Seid ihr alle auf ’nem Trip? Jeder redet nur wirres Zeug.«
»Warte erst mal ab, bis du siehst, was wir noch gefunden haben«, sagte sie. »Was sich dort in dem dreckigen Gewächshaus befindet.«
»Passt auf eure Rücken auf!«, rief Tommo, der zur Tür hereingeschwankt kam und gemeinsam mit Miller die letzte Kiste trug. »Da! Das wären dann alle. Die Innereien meines aufgeblasenen Freunds hier grummeln schon wie der Krakatau kurz vorm Ausbrechen – besser, wir verschaffen ihm was zu futtern. Na los, Pupsmeister, lass uns –«
Jezza versperrte ihnen den Weg. Mit glühenden Augen stand er in der Tür. »Noch sind wir nicht fertig, Jungs.« Er nahm den losen Deckel von der letzten Kiste und griff hinein. »Dies ist erst der Anfang. Ihr habt keinerlei Vorstellung von der großen Ehre, die euch zuteilwird. Hier und heute werdet ihr Zeugen des großen Neuanfangs. Jeder von uns ist auserwählt und sollte vor Dankbarkeit auf die Knie fallen. Haltet inne und blickt euch um. Prägt euch diese denkwürdige Nacht gut ein. Die ganze Welt wird sich verändern und dies ist die letzte Gelegenheit, sie noch einmal so zu sehen, wie sie war.«
Ein Anflug von Panik huschte über Howies Gesicht. »Verfluchte Scheiße!«, schrie er. »Du hast doch keine Knarren da drin, oder?«
Jezza lachte auf, als hätte er den besten Witz aller Zeiten gehört.
»Was dann?«, wollte Howie wissen. »Vielleicht Bomben? Du bist doch völlig durchgeknallt – so was ist außerdem absolut nicht mehr deine Liga! Du spinnst!«
Jezza lachte weiter. Es hörte sich grässlich an, krächzend und dröhnend. Shiela umklammerte den Kragen ihrer Jeansjacke – die Stimme, die sie hörte, war nicht Jezzas.
Dann hieb er mit der flachen Hand gegen die Seite der Kiste und das Lachen flachte zu einem trockenen Kichern ab. »Mit Pistolen und Bomben haben es schon viele versucht«, erklärte er leicht entrückt. »Haben es versucht und sind gescheitert, versucht – gescheitert. Immer und immer wieder. Die Sache muss man anders angehen – Kriege finden immer ein Ende. Sie lodern ein paar Jahre lang – ein ganz fantastisches, protziges Spektakel mit viel Lärm und Taktik. Dann bricht auf einmal wie eine Epidemie Frieden aus und man ist wieder da, wo man angefangen hat, und muss alles von vorne aufwiegeln. Kriege funktionieren nicht, die vereinen mehr als sie zerstören.«
»Was ist denn nur mit ihm los?« Howie war verwirrt.
Doch noch bevor die anderen antworten konnten, fletschte Jezza die Zähne zu einem breiten Grinsen und warf etwas in seine Richtung.
Howie duckte sich und sprang zur Seite, weil er schon halb mit einer Handgranate rechnete. Das war völliger Irrsinn!
Das Geschoss landete vor seinen Schuhen und er blickte es argwöhnisch an. Als er begriff, worum es sich tatsächlich handelte, wunderte er sich darüber sogar noch mehr als über irgendeinen Sprengstoff.
»Ein Buch?«, rief er ungläubig aus.
»Es ist Zeit, dass ihr alle eins bekommt.« Jetzt klang Jezzas feierliche Stimme wieder eindeutig nach seiner eigenen. »Greift zu, verehrt sie … verhätschelt sie.«
Er drückte jedem ein Exemplar in die Hand. Shiela war die Einzige, die das Buch bereits gesehen hatte, doch wieder starrte sie es völlig fasziniert an.
»Dancing Jacks« ,las Howie vor. »Wo hast du denn eine Ladung gebrauchter Kinderbücher aufgetrieben? Und was willst du damit?«
Jezza genoss den Ausdruck auf ihren Gesichtern, während sie das Buch drehten und wendeten. Sie hatten keine Ahnung, was sie da in den Händen hielten.
Shiela blätterte durch die leicht muffigen Seiten und erhaschte hier und da einen Blick auf eine Zeichnung. Als sich die Seiten voneinander lösten, nachdem sie so lange Zeit aufeinandergepresst gewesen waren, ertönte ein leises, fast unhörbares Geräusch. Es klang, als würden sich Tinte und Papier einen sanften, trockenen Kuss geben.
»Sie sind nicht gebraucht«, erklärte Jezza. »Nicht eins von ihnen hat je jemandem gehört, kein Einziges hat bisher den Blick gieriger Augen auf seinen Seiten gespürt. Sobald sie gedruckt und gebunden waren, hat man sie weggepackt. Fünfundsiebzig Jahre lang haben sie weder Sonnenlicht noch eine menschliche Berührung gespürt. Niemand hat sie je gelesen – sie
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