Dancing Jax - 01 - Auftakt
Martin über den Weg gelaufen war. Manchmal kam es ihm beinahe so vor, als hätte sie es eingefädelt, dass sie beide zusammengekommen waren. Doch selbst wenn, hätte er ihr nur dankbar sein können.
»Für dich ist heute ein Päckchen gekommen«, sagte sie, während sie auf das Klingeln der Mikrowelle wartete. »Es kommt mir fast so vor, als würde ich den Briefträger öfter zu Gesicht bekommen als dich. Wenn er auch nur annähernd appetitlich wäre, hätte ich ja nichts dagegen, aber er sieht aus wie der hässliche Bruder von Frankensteins Monster.«
Martins Miene hellte sich auf und er eilte rasch ins Wohnzimmer, wo er auf dem Tisch ein mittelgroßes Paket vorfand.
»Gelobt sei eBay!«, rief er, grapschte sich das Päckchen und verschwand damit wie ein geölter Blitz nach oben.
»Was wird denn jetzt mit der Lasagne?«, schrie ihm Carol hinterher.
»Bin gleich wieder da! Eins nach dem anderen.«
Carol verdrehte die Augen. »Wenn das so weitergeht, dürfen wir bald anbauen«, murrte sie leise.
Sie wohnten in einer Doppelhaushälfte mit drei Schlafzimmern – von denen allerdings nur in zweien geschlafen wurde. Wenn sie einmal Besuch bekamen, mussten ihre Gäste mit dem Sofa im Wohnzimmer vorliebnehmen. Das dritte Schlafzimmer war zu Martins Allerheiligstem umfunktioniert worden. Ein Ort, an dem er dem zermürbenden Alltag des Lehrerdaseins und den Emma Taylors dieser Welt entkommen konnte. Ein Raum, angefüllt mit Dingen, für die ihn seine Schüler teeren und federn würden, sollten sie je davon erfahren.
»Paul!«, brüllte er und klopfte im Vorbeilaufen an die Tür zu Pauls Zimmer. »Es ist da!«
Der Mathelehrer atmete einmal andächtig ein, bevor er sein Allerheiligstes betrat.
Die wenigen Besucher, die je die Ehre gehabt hatten, hereingeführt zu werden, fanden sich sprachlos und mit offenen Mündern wieder. Es gab einfach viel zu viel zu sehen, viel zu viel zu bestaunen, sodass man schlicht und ergreifend keinen zusammenhängenden Satz zustande brachte. Also stießen sie immer die gleiche Art von Ausrufen aus:
»Oh, wow!«
»Abgefahren!«
»Um Himmels willen!«
Nur Carols Mutter war pragmatisch genug gewesen, um ein »Wie staubst du das alles ab?« hinzubekommen.
Martin Baxter, der zynische, mit beiden Beinen auf dem Boden stehende Mathematiklehrer, der sich von keinem seiner Schüler etwas gefallen ließ, war ein kolossaler, eingefleischter SciFi- und Fantasyfreak – und das konnte man laut sagen.
Sein Zimmer war von oben bis unten vollgestopft mit allem möglichen Merchandising: DVDs, Kostüme, Requisiten, Limited-Edition-Poster, Spielzeug, Actionfiguren, Modelle, Nachbauten, Bücher, Comics, Magazine und gerahmte Fotos von ihm und den Stars seiner Lieblingsserien und -filme. Von so ziemlich jedem Charakter aus den Herr der Ringe- Filmen gab es Büsten, außerdem Daleks in jeder Größe – von den winzigen Rolykins-Ausgaben bis hin zu den Varianten in Lebensgröße (ein besonders extravagantes Geschenk, das er sich selbst gemacht hatte, aus der Zeit vor Carol). Raumschiffe aus verschiedenen Universen flogen in Formation unter der Decke herum – gefolgt von Tschitti Tschitti Bäng Bäng, was das ganze Prinzip irgendwie durcheinanderbrachte. Es gab Uniformen der Sternenflotte, komplett mit einer Reihe verschiedener Offiziersabzeichen und Tricorder, ja sogar einen echten Phaser aus der ersten Staffel von Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert (ein weiteres teures Geschenk, das er sich selbst gemacht hatte, als er noch Single war).
Ein lächerlich langer Schal in grellbunten Farben schmückte einen Hutständer, es gab ein Alien-Ei, aus dem gerade ein Gesichtsfresser schlüpfte, eine Flasche True Blood, eine Visitenkarte des Schwarzmagiers Julian Karswell, die als Requisite in dem Film Der Fluch des Dämonen von 1957 diente – versehen mit der in Silber geschriebenen Warnung. Vertreten waren außerdem die Mäusefamilie Clangers aus der berühmten BBC-Stop-Motion-Kinderserie – inklusive der Soup Dragons, dem Metallhuhn Iron Chicken und den kleinen orangefarbenen Froglet-Aliens –, eine Lampe, bestehend aus einer Birne, die im goldenen Kopf von C-3PO steckte, mehrere Zauberstäbe in Vitrinen, ein Klumpen Kryptonit, der im Dunkeln leuchtete, ein Laserschwert erster Klasse, das Soundeffekte genau wie im Film von sich gab, und noch viel, viel mehr Dinge, die Martin im Laufe der Jahre angehäuft hatte. Eine seiner wertvollsten Erwerbungen war allerdings zugleich eine der kleinsten: ein
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