Dancing Jax - 01 - Auftakt
Königreich. Herumzuschnüffeln ist unheilvoll! Uralte Kräfte schlummern im Innern jener Pergamente und Schriftstücke. Lasst sie schlafen, tief und unbehelligt! Türen und Bücher sind aus den besten aller Absichten versiegelt. Staub soll sich sammeln, dort drinnen, und Spinnen ihre Netze spinnen – stochere nicht darin herum!
»Sie haben sie also nur deshalb angegriffen, weil sie ihnen ein Buch abgenommen hat?«
Paul bemühte sich, Martin zu erklären, was in der Englischstunde vorgefallen war, als sie am Nachmittag gemeinsam nach Hause fuhren.
»Es war, als hätte sie einem verrückten, halb verhungerten Hund ein Stück Fleisch geklaut. Nein, sogar noch schlimmer – als wären sie Junkies und das Buch ihre Droge. Keiner von uns anderen konnte glauben, was da abging. Sie sind total durchgedreht, absolut plemplem, die beiden. Ich hab sie gar nicht wiedererkannt – so haben sie sich noch nie benommen.«
»Als die Polizei ankam, waren sie jedenfalls sehr schweigsam«, erzählte Martin. »Danach hatte ich ein kurzes Gespräch mit Barry. Er konnte aus den zweien nichts Vernünftiges herausbringen und der Polizei war es auch nicht besser ergangen. Aber eine Sache war schon komisch: Als ihre Eltern sie abholten, waren auch die reichlich merkwürdig. Und was soll dieses ›Gesegnet‹, das jetzt alle sagen?«
»Das hat mit diesem Buch zu tun«, murmelte Paul. »Irgendwas daran ist mächtig faul.«
»Komisch«, bemerkte Martin. »Du bist jetzt schon der Zweite, der mir das sagt – innerhalb von zwei Tagen.«
Missmutig starrte Paul aus dem Fenster. Soweit es ihn anging, war gar nichts an der Sache komisch. Er war davon überzeugt, dass sie allen Grund hatten, wirklich, wirklich Angst zu haben. Martin hatte die gewaltige Wut in den Gesichtern der Jungs nicht gesehen und die krasse Szene in der Bibliothek nicht erlebt.
»Das hätte Barry weiß Gott nicht auch noch gebraucht«, fuhr Martin fort.
»Wird er jetzt gefeuert, wegen dem Kram, den die Zeitungen ihm angehängt haben?«
»Erzähl das keinem, aber der Vorstand und die örtlichen Behörden haben ihn schon den ganzen Tag über bearbeitet. Sie wollen, dass er ohne viel Trubel zurücktritt.«
»Oh.«
»Ich wette mit dir, wir bekommen als Ersatz irgendeinen ahnungslosen Schleimer – jemand, der unserer Regierung schön in den Kram passt. Die Schule wird rasend schnell den Bach runtergehen, wart’s nur ab.«
»Mr Milligan war super heute – genau wie Gene Hunt aus Life on Mars, nur lauter.«
»Ganz ein Mann der alten Schule«, sagte Martin traurig. »Jemand hat ihn heute einen Dinosaurier genannt und da hat er vollkommen recht. Barry Milligan ist ein T-Rex unter all den Duckmäusern und Angsthasen.«
»Was bist dann du?«
»Fred Feuerstein!«
Sie fuhren in ihre Einfahrt und Paul stürmte auf der Stelle rauf in sein Zimmer. Als er vor seinem Computer saß, schwebte sein Mauszeiger lange über dem Freundin entfernen- Button,um Graeme und Anthony aus seinen Kontakten zu entfernen, doch schließlich brachte er es nicht übers Herz. Selbst nach allem, was sie heute getan hatten, hatte er mehr Mitleid mit ihnen, als dass er sie hasste. Irgendwie hatte er es im Gefühl, dass nichts von all dem wirklich ihre Schuld war.
Stattdessen tippte er versuchshalber Dancing Jacks in die Suchmaschine. Die meisten Ergebnisse waren Links zu Kommentaren seiner Mitschüler in irgendwelchen Blogs. Auch eine Website über Falknerei war dabei, die Anthony angelegt hatte. Paul zog skeptisch die Augenbrauen hoch – was bitte wusste Anthony über Greifvögel? Als er die Seite anklickte, stellte sich heraus, dass sein früherer Freund anscheinend eine ganze Menge darüber wusste. Es war absolut verblüffend, wie weit er ins Detail ging, und man hatte auch nicht den Eindruck, als hätte er es einfach irgendwo herauskopiert.
Die übrigen Suchergebnisse führten zu anderen Leuten, die das Buch am Sonntag auf dem Flohmarkt gekauft hatten. Eine Frau hatte einen Blog angelegt, in dem sie dokumentierte, wie sie ein Kostüm für die Romanfigur entwarf, in die sie vernarrt war. Durch Martins schräges Hobby kannte Paul ähnliche Blogs. Sich als sein Lieblingscharakter zu verkleiden, nannte sich Cosplay und war in Amerika viel verbreiteter als hier. Sich anderen Welten hinzugeben konnte das Leben eines wahren Fans vollkommen ausfüllen. Martin meinte immer, dass das daran lag, dass die meisten erfolgreichen Fantasyreiche klar definierte Regeln hatten, während das in der realen Welt
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