Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
und wusste nicht recht, was sie sagen sollte. »Unmöglich, das kann nicht sein … Ihr seid nicht meine Ma … Ihr könnt nicht die Witwe Tallowax sein.«
»Eure Ma?«, wiederholte die Frau und tapste barfuß zu Charm, um sie sich näher anzusehen. »Keiner Seele Ma bin ich! Dafür jedoch gewiss die, die ich Euch genannt habe, so sicher, wie man Teer nicht aus Samtumhängen schrubben kann!«
Charm schüttelte den Kopf und wandte sich traurig an Lee. »Das ist sie nicht. Wo steckt sie?«
Lee hob die Hände und legte sie sanft auf ihre Schultern. Er hätte schon früher mit ihr darüber reden sollen. »Doch, das ist sie. Sie ist da drin. Denk dran, in dem Scheißbuch gibt es nur eine bestimmte Anzahl von Figuren, aber Millionen von Zombieleuten glauben, dass sie eine davon sind. Das da ist so was wie die Hauptversion, genau wie wir von den Buben und Damen immer nur die Prototypen sehen. Du musst dich konzentrieren. Schau ganz genau hin und denk richtig fest an denjenigen, den du sehen willst.«
So ganz begriff Charm nicht, wie er das meinte, trotzdem drehte sie sich erneut zu der Waschfrau und stellte sich das Gesicht ihrer Ma vor.
Witwe Tallowax schaute die beiden beunruhigt an. »Was wollt Ihr?«, verlangte sie zu wissen und betrachtete überrascht und misstrauisch die schwarzen Hände des Fremden. »Ich habe keine Zeit zum Plaudern oder für linke Spielchen. Wenn Ihr nichts für meine Kochtöpfe habt, dann trollt Euch. Und schämt Euch, eine arme ehrliche Matrone bei ihren täglichen Pflichten zu stören. Wenn Ihr nicht gleich verschwindet, hole ich meine Zangen und versohle euch die Beine!«
Während sie schimpfte, fing die Gestalt der Frau an zu flackern. Charm staunte Bauklötze. Vor ihren Augen verschwamm und veränderte sich die Wäscherin, wurde größer und dicker, dünner und kleiner. Jedes Mal erschien eine neue, andere Person. Nur die Kleider blieben dieselben, während die Arme, der Rumpf, das Gesicht sich ständig veränderten. Es war, als blätterte man durch ein Daumenkino. Alle möglichen Frauen schlüpften in diese langen Röcke und verschwanden dann wieder: verschiedene Alter, verschiedene Größen, verschiedene Hautfarben, bis Charm schließlich aufquiekte und die Hand der Frau ergriff.
Das Gesicht ihrer Mutter, Mrs Benedict, war erschienen. Sobald das Mädchen sie berührte, hörte die rasende Veränderung auf.
»Ma!«, rief Charm und schlang die Arme um sie. »Oh! Ich hab dich ja so vermisst! So sehr. Warum hast du mich denn nicht abgeholt?«
Witwe Tallowax wich überrascht zurück. Wer war diese fremde, weinende Maid? Sie wand sich aus der verzweifelten Umarmung und trat zurück, verwirrt und sprachlos.
»Ich bin’s«, sagte das Mädchen. »Charm, deine Tochter. Charm Benedict. Du kennst mich, du musst!«
Die Frau rang die Hände. Das Kind hatte offensichtlich überreizte Nerven, trotzdem war dieses Benehmen höchst unschicklich.
»Bitte, Ma«, flehte Charm, während ihr die Tränen übers Gesicht rannen. »Das kannst du nich machen. Du musst mich doch kennen! Schau dir mein Gesicht an, das hast du geschminkt, seit ich zwei war. So was vergisst man doch nicht!«
»Es reicht!«, brauste die Witwe auf. »Ich habe Euch noch nie zuvor gesehen. Warum setzt Ihr mir derart zu? Ist das ein Streich der Pikdame oder des Jockeys? Wenn einer von denen mit der Kleidung, die ich zurückgebracht habe, nicht zufrieden war, dann ist dies eine fürwahr grausame Rache und völlig unverdient!«
»Denk an den großen Plan!«, fuhr Charm fort. »Oder wie wir zusammen einkaufen waren! Weißt du noch, das eine Mal sind wir zu diesem Club gegangen, wo die ganzen Fußballer gefeiert haben, ja? Ich war erst vierzehn, aber bin total leicht reingekommen, und als der eine Typ sich an mich ranmachen wollte, hast du ihm eine geschmiert. Ich war megasauer, weil er berühmt war, und wir haben die ganze Rückfahrt lang im Taxi gestritten. Oder was ist mit den stinkenden eingelegten Gurken? Daran musst du dich doch erinnern!«
Die Waschfrau biss sich auf die Lippe und wandte sich ab. Sie hatte begriffen, dass das kein böser Streich war. Das arme Kind war nicht ganz richtig im Kopf. »Vergebt meine schroffen Worte. Ich habe mich erschrocken. Jetzt sehe ich, dass Ihr im Wahn sprecht, und Euer vermummter Gefährte muss Euer Medicus sein. Gebt gut auf sie acht, mein Herr. Wie furchtbar das ist, obendrein bei jemandem, der so jung und so schön ist!«
»Ich bin nicht plemplem!«, rief das Mädchen. »Wie kann ich
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