Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
Er meinte, er hätte die schlimmsten Schmerzen, die Dancing Jax verursachen konnte, schon hinter sich, doch da irrte er sich. Das Schlimmste stand noch bevor und es würde ihn bis an sein Lebensende verfolgen.
25
Am nächsten Morgen war Lee früh auf den Beinen. Er wollte keine Sekunde der Zeit verpassen, die er noch mit Charm verbringen konnte. Schnell schlüpfte er in seine Klamotten und rannte nach draußen. Der Himmel war grau und bewölkt, aber das bemerkte er nicht einmal. Er hastete zu Charms Hütte und steckte den Kopf zur Tür hinein.
Die Mädchen waren völlig groggy. Bisher hatte sich keiner der jungen Insassen an den intensiven Schlaf gewöhnt, den die Brückengeräte erzeugten, und auch hier lagen die meisten noch immer benommen auf dem Boden. Sie jammerten Lee ins strahlende Gesicht, während eins der Mädchen an ihm vorbei nach draußen rannte, um das Bad in Esthers Hütte zu benutzen, weil ihres ja noch immer außer Betrieb war.
Lee legte den Kopf schief. »Hey, wo ist sie denn?«
Allen war klar, wen er meinte, und sie kicherten untereinander.
»You want to hold her, you want to kiss her …«, sang jemand.
»Vielleicht ist sie aufs Klo«, überlegte eine von Charms Mitbewohnerinnen.
Lachend spazierte Lee über die Wiese und wartete. Er sah, wie Maggie zum Hauptgebäude huschte, um das Frühstück vorzubereiten, kurz darauf folgte Esther. Die Zeit verging. Über ihm ertönte nasales Gelächter. Yikker hatte Schicht im Rutschenturm und starrte Lee an, was dieser schlicht ignorierte. Der Anblick von diesem Vieh, als Priester verkleidet, machte ihn krank.
Nach und nach erwachte das Camp zum Leben. Die Kids tauchten eins nach dem anderen aus den Häusern auf und kratzten sich gähnend die Köpfe. Kaltes Wasser rauschte durch die Duschen und die übrigen Mädchen aus Charms Hütte reihten sich in die Schlangen vor den Badezimmern der Nachbarhütten ein. Nur wo blieb Charm?
Zwanzig Minuten später begann Lee, sich Sorgen zu machen. Er fragte in allen Blockhäusern nach, aber niemand hatte sie gesehen und sie befand sich auch in keinem der Bäder. Schließlich lief er zu Maggie in die Küche, um sich dort zu erkundigen.
Maggie brachte ihre Neugierde fast um – zu gerne wollte sie wissen, was vergangene Nacht geschehen war. Doch vor Esther und Garrugaska konnte sie das Thema nicht ansprechen.
»Irgendwo muss sie ja sein«, sagte sie stattdessen, während sie die Würstchen für die Wärter anbriet.
»Ich würd’s noch mal im Bad versuchen«, empfahl Esther mit einem fiesen Grinsen. »Unseres nimmt sie immer Ewigkeiten in Beschlag.«
»Nicht sprechen!«, befahl der Punchinello. Dann deutete er feindselig mit dem Finger auf Lee und schmiss ihn aus der Küche.
Lee verließ das Hauptgebäude, nachdem er überprüft hatte, ob Charm im Gemeinschaftsraum war. Ein grässlicher Verdacht keimte in ihm auf, als er in ihre Hütte zurückrannte. Aber nein, ihre beiden rosa Louis-Vuitton-Koffer waren noch da. Das beruhigte ihn ein wenig, doch wo konnte sie stecken?
Als Jangler die Glocke bimmeln ließ, um die Gefangenen zur morgendlichen Lesung zu versammeln, war Charm noch immer verschwunden. Maggie und Esther stellten sich in ihre Reihe, während Hauptmann Swazzle bereits durchzählte und Lee sich nach Charm umschaute.
Jangler warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »Zunächst –«
»Moment!«, unterbrach Lee ihn. »Wir sind noch nicht komplett.«
Jangler blickte zu Swazzle. »Zehn und neun«, berichtete der Punchinello.
Der alte Mann machte einen Haken auf seiner Liste. »Fein, fein, alle anwesend.«
»Hey!«, rief Lee. »Was soll das? Wo ist sie?«
Die anderen Kinder wurden unruhig. Die Mädchen aus Charms Hütte waren inzwischen selbst besorgt.
»Falls du auf Charm Benedict anspielst«, meinte Jangler mit einem abfälligen Schnauben, »sie ist weg. Und wenn du mich noch einmal so respektlos anredest, werde ich dich auspeitschen lassen.«
Lee schluckte einen Schrei hinunter. »Was? Wo ist sie denn hin? Was habt ihr mit ihr gemacht?«
»Man hat sie bereits vor einigen Stunden abgeholt. Dieses Lager ist nur für Abtrünnlinge unter sechzehn Jahren. Sie konnte nicht bleiben. Das habe ich bereits bei eurer Anreise deutlich gesagt. Ich verstehe also in keiner Weise, warum du deswegen solch einen Aufstand machst.«
»Aber sie hat erst am Siebten Geburtstag!«, widersprach Maggie.
»Ich fand es wesentlich besser, sie frühzeitig fortzuschicken. Viel rücksichtsvoller, wie ich meine. Wenn man es
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