Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
dich denn dazu bringen, dass du dich erinnerst? Was kann ich –?« Charm hatte eine Eingebung. Sie riss sich das Mieder vom Leib, warf es auf den Boden und schlüpfte aus dem Wollgewand.
Die Witwe hob die Hände angesichts dieses skandalösen Treibens.
Charm, die nun im Unterkleid vor ihr stand, hob es hoch, um ihren nackten Bauch zu zeigen. Das pinke Strasspiercing in ihrem Nabel funkelte im Feuerschein. »Schau! Du warst dabei, als ich das machen lassen hab. Du bist ganz grün geworden und fast umgekippt.«
Die Waschfrau bedeckte schockiert ihre Augen.
»Wir waren beste Freundinnen, du und ich«, schluchzte Charm. »Bei uns war es ganz anders als bei anderen Mädchen und ihren Mums. Wir waren was Besonderes, echt dick – wie Schwestern. Wir haben alles zusammen gemacht. Das musst du doch noch fühlen, irgendwo tief drin in deinem Herz, da weißt du das! Ganz bestimmt. Da muss ein großes leeres Loch sein, da bin ich mir sicher, weil es mir nämlich genauso geht.« Charm wurde vom Schmerz und der Enttäuschung übermannt, heftige Weinkrämpfe begannen sie zu schütteln. Lee schob sich die Kapuze aus der Stirn und nahm sie in die Arme, doch sie riss sich los, zu verstört, um sich trösten zu lassen.
»Bei allem, was heilig ist!«, stieß die Waschfrau aus, als sie das Gesicht des Jungen sah. »Aus welchem fernen Land stammt Ihr? Gewiss aus einem, wo die Sonne heißer brennt als hier, das ist deutlich.«
»Ja, genau. Ich komme von weit weg, aus der Peckham-Wüste. Ich gehöre zu einem Orden, der den allmächtigen Nike anbetet, im heiligen Tempel von Footlocker.«
Die Witwe Tallowax hörte fasziniert zu, doch Charms Not lenkte sie schließlich wieder ab. Dieses arme Kind war außer sich vor Pein. Man konnte gar nicht anders, als Mitleid mit ihr zu empfinden. Die Witwe hatte ein weiches Herz und konnte dieses Elend nicht länger ertragen. »Ruhig, ruhig, mein Liebes«, sagte sie und tätschelte dem Mädchen die Hand. »Nehmt es nicht so schwer. Ein liebreizendes Gesicht wie Eures sollte nie von Tränen benetzt sein. Ein strahlendes Lächeln, das reinigt Gesichter am besten! Wer Eure Mutter auch sein mag, sicherlich wäre sie todunglücklich, Euch so zu sehen.«
»Warum nehmt Ihr sie nicht in den Arm?«, schlug Lee vor.
»Das geht doch nicht«, lehnte die Frau ab. »Ich pflege keine Fremden zu umarmen. Ich bin ja nicht die Herzdame!«
»Bitte«, wisperte Charm tränenüberströmt. »Halt mich fest.«
Witwe Tallowax zögerte, aber was konnte es schon schaden? Also streckte sie die Arme aus und schlang sie um die Maid. Charm legte das Gesicht an die Schulter ihrer Mutter und schloss die Augen. Einen herrlichen Moment lang stellte sie sich vor, dass sie wieder in der echten Welt wären und Dancing Jax ihr Leben nie zerstört hätte.
»Ich hab dich lieb, Mum.«
Die Witwe wich schüchtern zurück. Die Berührung hatte sie seltsam traurig gemacht. Als wären die Tränen des Mädchens ansteckend, kullerte ihr nun selbst eine dicke Träne über die Wange, die sie hastig fortwischte. »Wenn Ihr eine Mutter sucht, warum versucht Ihr es nicht in Hunter’s Chase und haltet Ausschau nach Malindas Behausung? Sie ist die Patentante aller unglücklichen Mädchen.«
»Nein, ich will meine echte Mum, keine gefakte. In meinem Leben war schon viel zu viel nur Fake.«
»Aber sie könnte Euch bei der Suche helfen. Es heißt, dass sie liebenswert und großzügig ist – und ihr Zauberstab ist noch immer mächtig, obwohl sie sich zur Ruhe gesetzt hat. Gar oft denke ich darüber nach, sie um einen Zauber zu bitten, damit die Wäsche sich von selbst schrubbt.«
»Kein Zauber ist besser als eine dicke Umarmung«, sagte Charm. »Von einer guten Fee will ich nichts.«
Witwe Tallowax wusste nicht, was sie noch sagen sollte.
Da drang von draußen Hufgeklapper und freudiges Geplauder durch die offene Tür.
»Der Wettstreit ist zu Ende«, stellte sie fest. »Alle strömen vom Turnierplatz zurück. Was für ein Tag das für sie gewesen sein muss! Das ganze Schloss war dabei.«
»Wir gehen besser«, schlug Lee leise vor.
Charm nickte. Sie konnte hier nichts mehr tun. Sie hatte ihr Möglichstes versucht und zumindest eine letzte, herrliche Umarmung bekommen. Die Erinnerung daran würde ihr durch die Quälereien in dem neuen Camp helfen, egal, was ihr dort bevorstand. Sie hob den Lederbeutel auf, den sie gemeinsam mit ihrem Gewand auf den Boden geworfen hatte, und drückte ihn der Waschfrau in die Hand.
»Das ist für dich«, sagte
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