Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
Nacht an einem fremden Ort verbringen mussten, hatte man das Licht über dem Spiegel im Badezimmer angelassen. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, doch nun schloss sie sich geräuschlos und undurchdringliche Schwärze hüllte die schlafenden Mädchen ein.
Im Dachgeschoss stieß eine von ihnen einen Schrei aus und wimmerte leise. Doch niemand hörte sie. Nichts konnte die Kinder jetzt noch wecken. Ein unnatürlicher tiefer Schlaf hatte sich über alle gelegt. Er wickelte sich um sie, zog und zerrte sie immer tiefer, tiefer und tiefer.
Plötzlich glühte inmitten der Finsternis ein orangefarbenes Licht auf. Hoch oben an der Wand erwachte es zu glimmendem Leben, begleitet von einem leisen, doch stetigen Summen.
Ein statisches Knistern wurde laut, dann ertönte aus dem alten Plastikgerät ein Quietschen, als es sich auf die Suche nach einem Signal machte. Die Anzeige in der Mitte leuchtete matt und die Nadel begann zu zittern. Schließlich hatte sich die unheilige Erfindung von Austerly Fellows auf die Frequenz der Albträume eingestellt, die sich in den Köpfen der Kinder unter ihr ausbreiteten.
Die Gratisexemplare von Dancing Jax, die überall auf dem Boden herumlagen, versteckt unter Kleidern oder unter die Betten gekickt, begannen zu zucken und zu beben. Ruckelnd kamen sie zum Vorschein. Die Tür eines Nachtschränkchens schwang auf, sodass das Taschenbuch, das eins der Mädchen dorthinein verbannt hatte, herausfiel. Auf der anderen Seite des Zimmers schob sich eine Schublade auf und das Buch darin hüpfte in die Freiheit.
Das Summen wurde lauter. Schließlich trällerte aus dem urigen Lautsprecher des Geräts ein altes Lied aus den Dreißigerjahren. In jeder Blockhütte geschah dasselbe. Ein jämmerlicher Song voller Verzweiflung, erschaffen in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, schwebte hinaus und über die Köpfe der erstarrten Kinder. Die müde Stimme einer Frau erklang: »I’m one of those lady teachers, a beautiful hostess, you know, the kind the Palace features at exactly a dime a throw …«
Die Rücken der Bücher wölbten sich und dann schlug sich jedes der Dancing Jax’ auf. Raschelnd blätterten sich die Seiten von selbst um und rauschten durch Kapitel über Könige und Königinnen, Buben und Damen, Herren und Ritter, Gutsherren und Leibeigene, bis jedes Buch dieselbe Stelle zeigte. Die Musik erschallte weiter. Das traurige, blecherne Lied tönte durch die Hütten und erfüllte das Camp.
»Ten cents a dance, that’s what they pay me.« In der letzten der Hütten war Jangler noch immer wach, saß in einem gemütlichen Lehnstuhl, hatte die plumpen Finger über dem Bauch verschränkt und ruhte seine Füße in einer Schüssel mit kniehohem warmem Seifenwasser aus. Als die bittersüße Melodie an sein Ohr drang, wackelte er mit den Zehen und griff nach seinem Handtuch.
»Fighters and sailors and bow-legged tailors can pay for a ticket and rent me!«
Die Albträume aller Schlafenden im Camp wurden schlimmer. Jody stellte auf einmal fest, dass sie geschrumpft war und auf dem Wehrgang des Modellschlosses herumirrte. Zinnfiguren verstellten ihr den Weg und das gigantische Gesicht des Ismus schob sich zwischen den Türmen hämisch grinsend auf sie zu – es war so groß, dass seine abgemagerten Züge den kompletten Himmel einnahmen. Weiter drüben stieß Charm einen verzweifelten Schrei aus und vergrub ihr glänzendes Gesicht im Kissen. Weit oben leuchtete das merkwürdige Gerät nun greller, während die schleifende Melodie weiterdröhnte.
In Alasdairs Häuschen sprühte ein blauer Funke aus dem Gitter vor dem Lautsprecher, gefolgt von einer elektrischen Stichflamme, die über die Wand tanzte. Die Schnürsenkel sämtlicher Schuhe schlugen um sich, erhoben sich in die Luft und zeigten Richtung Decke. Dann verließen auch alle aufgeschlagenen Bücher den Boden, schwebten in die Mitte des Zimmers und formten dort einen sich hastig drehenden Kreis.
Kurz darauf folgten Kleider, Taschen und Rucksäcke, bis schließlich die Kinder selbst aus ihren Betten gehoben wurden. Beine und Arme wurden von der unsichtbaren Macht ergriffen, die jungen Rücken wölbten sich und die Köpfe der Schlafenden kippten zur Seite, als ihre Körper in die Luft schwebten.
»I’m there till closing time. Dance and be merry, it’s only a dime.«
Plötzlich mischte sich eine zweite Stimme in das Lied. Ein tierisches Grollen ähnlich einem Knurren, das von Sekunde zu Sekunde lauter wurde.
Mitten im Raum hängend, begannen die
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