Danger - Das Gebot der Rache
Ihr Herz machte einen kleinen Satz. Sie stellte den Besen beiseite. Aus dem Lärm im Hintergrund, dem Dröhnen eines Motors, dem Knistern des Polizeifunks, schloss sie, dass er vom Handy aus anrief. »Ich dachte, es interessiert dich sicher, dass wir die Opfer gefunden haben.«
O Gott.
»So schnell? Warte, sprichst du von mehreren Opfern?« War mehr als eine Frau getötet worden?
»Zwei unbekannte Leichen – genau wie du es beschrieben hast«, gab er mit etwas weniger barscher Stimme zu. »Eine an die Wand gekettet, Symbole um sich herum, die andere auf ein Rad gebunden.«
»Und beide …«
»Ja. Enthauptet.«
Olivia drehte sich der Magen um, und sie stürzte zum Waschbecken, weil sie meinte, sich übergeben zu müssen. Sie hätte einen Anflug von Genugtuung verspüren müssen, weil sie recht behalten und die Skeptiker eines Besseren belehrt hatte, doch sie empfand nichts als Entsetzen. Blindes, lähmendes Entsetzen.
»Beide Opfer befinden sich am selben Ort«, erklärte Bentz.
Ihr schnürte sich die Brust zu, als sie an die Frauen dachte und daran, welche Schmerzen sie erleiden mussten. Olivia zog sich einen Küchenstuhl unter dem Tisch heraus und ließ sich darauffallen. Bentz gab ihr eine kurze Zusammenfassung dessen, was sie vorgefunden hatten.
»Es war genau so, wie du es beschrieben hast. Nur dass die Gruft in Wirklichkeit das Lagersilo einer alten Mühle war.«
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie fühlte sich schwach. Hilflos. Sie erinnerte sich nur allzu klar an ihre Visionen, rief sich die Augenblicke in Erinnerung, in denen die Frauen getötet worden waren und sie nichts anderes hatte tun können, als dabei zuzusehen. Ihre Hände zitterten. Die rechte war nach wie vor verbunden.
»Wir werden ihn kriegen, Liv-, Olivia«, sagte Bentz freundlicher, und ihr zog sich das Herz zusammen.
»Wann?«
»Ich weiß es nicht.«
Wie viele Male würde sie noch Folter und Mord mit ansehen müssen? Ihre Tränen begannen zu fließen, liefen ihr über Wangen und Kinn und tropften auf den Tisch. »Ich weiß, dass es hart ist …«
Sie blinzelte. Das konnte niemand verstehen. Niemand.
»Bis dahin hat das Department eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung für dich angeordnet.« Sie schluckte schwer und wischte die Tränen mit dem Handrücken fort. »Ist Ole Olsens Team bei dir gewesen?«
»Ja.« Sie nickte und blickte sich in der Küche um. Chia stieß einen schrillen Pfiff aus. Olivia zwang sich zu einem Lächeln, selbst wenn ihr nicht danach zumute war. »Das war nicht die Alarmanlage, das war Chias Kommentar dazu, aber glaub mir, ich hab jetzt so viel Schnickschnack, dass ich offenbar schon einen Abschluss in Elektrotechnik brauche, um das Haus abzuschließen.«
»Bitte denk dran, die Anlage auch zu benutzen.«
»Das mache ich … vorausgesetzt, ich werde schlau daraus.«
Reiß dich zusammen, Olivia. Hier rumzusitzen und zu heulen, hilft den Opfern auch nicht und erst recht nicht dir selbst.
»Du bist eine clevere Frau. Du wirst das schon schaffen«, sagte Bentz, aber sie fand nur wenig Trost in seinem Kompliment.
»Olivia? Ist alles in Ordnung?«
Sie biss die Zähne zusammen. »Nein, nichts ist in Ordnung. Ich fühle mich irgendwie verantwortlich für das alles.«
»Es ist nicht deine …«
»Das weiß ich! Trotzdem ist es schwer.« Sie versuchte vergeblich, sich zusammenzunehmen. »Übrigens, ich wollte dich auch gerade anrufen. Du hattest doch gefragt, ob ich noch Geschwister hätte, und ich habe nein gesagt. Doch mittlerweile habe ich unsere Familienbibel entdeckt, darin steht, dass ich einen Bruder habe.«
»Ich weiß.«
Sie erstarrte. »Das
weißt
du?«
»Ich habe erfahren, dass deine Mutter vor ihrer Ehe mit deinem Vater einen Sohn zur Welt gebracht und ihn zur privaten Adoption freigegeben hat, insofern gibt es keine diesbezüglichen Unterlagen.«
»Und das hast du mir nicht gesagt?« Zorn loderte in ihr auf. Offenbar kannte sie Bentz ganz und gar nicht. Sie hatte die Tatsache akzeptiert, dass sie kein Liebespaar sein konnten, und war zu dem schmerzhaften Schluss gekommen, dass Bentz ihre kurze Beziehung nicht nur aus beruflichen Gründen, sondern auch deshalb beendet hatte, weil er einfach nicht in der Lage war, eine Frau zu nahe an sich heranzulassen. Ohne Zweifel hatte er sich irgendwann einmal schrecklich die Finger verbrannt. Trotzdem hätte er den Anstand besitzen müssen, ihr von ihrem Bruder zu erzählen. »Findest du nicht, ich habe das Recht, es zu erfahren?«
»Das ist einer der
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