Danger - Das Gebot der Rache
sah, hatte er noch nie zu tun gehabt. Was für eine makabre Parodie des magischen Spiegels in
Schneewittchen!
Verflucht unheimlich.
Es gab keine logische Erklärung. Trotzdem glaubte er Olivia. Bentz hatte den Fernseher auf leise gestellt, damit er die neuesten Basketballergebnisse mitbekam, doch dann konzentrierte er sich wieder auf die Liste. Olivia hatte eine seltsame Familie. Der Vater, ein Ex-Knacki auf Bewährung, der wegen Mordes eingesessen hatte, war ein ziemlich großes rotes Tuch. Und dann war da noch ihr Ex-Freund, Ted Brown, mittlerweile geschieden, der für die Bahn arbeitete und auf der anderen Seite des Flusses in Gretna lebte. Er war ein paar Mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Dreimal waren Beamte wegen häuslicher Auseinandersetzungen – zweimal mit seiner Frau und einmal mit einer Freundin – zu seiner Wohnung gerufen worden. Angeblich hatte er mit einem Messer herumgefuchtelt, aber die Anklage war jedes Mal fallen gelassen worden.
»Netter Kerl«, stellte Bentz fest und wunderte sich, dass Olivia diesen Typen um ein Haar geheiratet hätte. Ted Brown würde er auf alle Fälle überprüfen. Verschmähte Ex-Liebhaber neigten dazu, aus der Rolle zu fallen.
Bentz fragte sich, ob Olivia noch mit Brown sprach. Ihn gelegentlich sah. Ihm nahestand. Mal angenommen, er wäre der Killer – wäre diese Bindung stark genug? Denn das war es, was Bentz Sorgen machte: diese verdammte Verbindung. Wo war der Zusammenhang? Was war es, das Olivia Benchet mit dem Mörder verband? Wer zum Teufel war er? Wie hatte sie ihn erkennen können, und funktionierte das auch umgekehrt? Warum sah sie in ihren Visionen nicht sein Gesicht, warum nur die Morde? Wusste der Killer davon? Kannte er ihren Namen? Sie stellte eine Bedrohung für ihn dar. Wenn er wusste, wer sie war, war sie womöglich in ernster Gefahr. In tödlicher Gefahr.
Nervös klickte er mit seinem Kugelschreiber. Dieser Gedankengang gefiel ihm nicht. Er las den Namen ihrer Mutter, Bernadette Dubois Benchet Martin, und umkringelte ihn, da er seines Wissens nicht vollständig war. Laut Brinkman hatte Bernadette fünfmal geheiratet, da fehlten also ein paar Ehemänner. Er würde das überprüfen müssen. Und was war mit dem ertrunkenen Kind? Mit Olivias Schwester Chandra?
Bentz hatte Olivias Liste drei verstorbene Personen hinzugefügt: Chandra und ihre Großeltern Virginia und Montcliff Dubois. Das andere Großelternpaar musste er auch noch ausfindig machen. Außerdem wollte er Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen anrufen, jeden Blutsverwandten, wenngleich Bentz nicht wusste, warum er eigentlich davon ausging, dass eine genetische Verbindung zwischen Olivia und dem Mörder bestand. Doch es machte für ihn einfach Sinn.
Was war mit Halbbrüdern? Halbschwestern? Wenn Bernadette so oft geheiratet hatte, musste Olivia doch irgendwelche Halbgeschwister haben? Und auch Reggie hatte vielleicht noch etliche Kinder gezeugt.
Mist. Er hätte die Liste ewig fortführen können, doch das dauerte viel zu lange. Er wollte den Kerl festnageln, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte. Bevor er herausfand, dass Olivia Benchet ihn bei seinem Treiben beobachtete.
Als der Sportsender von Basketball zu Football wechselte und die New Orleans Saints um den Super Bowl kämpften, setzte Bentz ein dickes Fragezeichen neben den Namen von Chandra, Olivias einzigem Geschwisterkind. Da stimmte etwas nicht. Man mochte es eine Ahnung oder Intuition nennen – er spürte, dass mehr hinter der Geschichte steckte.
Genau wie hinter der mit dem niedergebrannten Haus, in dem sie das Opfer gefunden hatten. Im Department hatte man damit begonnen, jene Leute unter die Lupe zu nehmen, die sich nach dem Shotgun-Haus erkundigt hatten – bislang ohne Ergebnis.
Sie brauchten einen Durchbruch, und zwar bald.
Sein Piepser meldete sich. Bentz blickte auf die kleine Anzeige und erkannte Olivia Benchets Nummer. Er spürte, wie er sich verspannte. Sie würde nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre. Wenn sie nicht in Schwierigkeiten steckte. Mit einer raschen Bewegung schaltete er den Fernseher auf stumm, schnappte sich das schnurlose Telefon und wählte ihre Nummer.
Sie nahm noch vor dem zweiten Klingeln ab. »Hallo?«
»Hier ist Bentz.«
»Er ist wieder auf der Jagd«, flüsterte sie mit zittriger Stimme.
»Wie bitte?« Bentz war schon auf den Füßen und griff nach seiner Jacke, dem Schulterholster mit der Pistole und den Schlüsseln.
»Ich … ich habe ihn wieder gespürt. Er ist
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