Danger - Das Gebot der Rache
gleichzeitig aufstieß.
Vater James McClaren blickte über die Ränder seiner Lesebrille und erkannte an Wandas hochgezogenen hellen Augenbrauen, wie neugierig sie war. Die Kirchensekretärin war dünn und faltig, und hinter der dicken Brille wirkten ihre Augen wie die einer Eule. Sie leckte sich nervös die Lippen.
»Sein Name ist … wie war Ihr Name noch gleich?«, fragte sie über die Schulter hinweg, und James vernahm eine tiefe Stimme, die er auf der Stelle erkannte. »Oh, sicher … Detective Richard Bentz«, sagte sie und richtete den Blick wieder auf Vater McClaren.
James’ Brust schnürte sich zusammen. Die leise klassische Musik, die er gehört hatte, schien zu verklingen. Was führte seinen Halbbruder hierher? Vermutlich nur das Schlimmste.
Kristi.
James’ Mund wurde trocken. »Bitten Sie ihn herein«, sagte er und wandte sich vom Computer ab. Die Predigt würde warten müssen.
Als Wanda zur Seite trat, um Bentz eintreten zu lassen, wappnete sich James innerlich. Jedes Gespräch mit seinem Halbbruder führte unweigerlich zu einer Konfrontation.
»Hallo, Vater«, sagte Bentz mit einem Nicken. James stand auf und zwang sich zu einem Lächeln.
»Vielen Dank, Wanda«, sagte er und warf der Frau einen strengen Blick zu. Sie verstand seinen Wink und schlüpfte hinaus. Hinter ihr schlug sachte die Tür zu. James streckte die Hand über den Schreibtisch aus und entspannte sich ein wenig. Wenn etwas Ernstes mit Kristi wäre, hätte er es an Bentz’ Gesichtsausdruck erkannt. Sein Halbbruder wirkte besorgt, aber nicht verzweifelt oder von Trauer erfüllt. »Lange nicht gesehen. Wie geht es dir, Rick?«
Bentz drückte seine Hand kurz und kräftig. »Könnte besser sein.« Er nahm auf einem der beiden Besucherstühle Platz, und James dachte daran, wie oft er als kleiner Junge bewundernd zu seinem großen Bruder aufgeblickt hatte. Wie nahe sie sich gestanden hatten. Als sie Kinder waren, war Rick immer für ihn da gewesen. Er hatte ihm gezeigt, wie man einen Baseball wirft, einen zweiundzwanziger Kaliber abfeuert und Schnaps aus dem Spirituosenschrank ihres alten Herrn klaut. Rick hatte über James’ Frömmigkeit gespottet und sich sogar einmal wegen ihm mit Freddy Mason geprügelt. Freddy und ein paar seiner Freunde hatten auf dem Schulhof einen Streit mit James vom Zaun gebrochen und ihn einen Feigling und ein Muttersöhnchen geschimpft. Rick hatte Freddy fertiggemacht, und nachdem die älteren Jungs den Schwanz eingezogen und abgezischt waren, hatte er seinem Halbbruder einen Tritt in den Hintern verpasst, dass dieser fast von einer Seite des Orange County zur anderen geflogen wäre. Er hatte behauptet, Freddy hätte recht. James wäre in der Tat ein Muttersöhnchen, und mit dem Weichei-Getue um Gott und die Kirche müsse jetzt Schluss sein, wenn er nicht richtig in Schwierigkeiten geraten wolle. Es wäre Zeit, dass James für sich selbst einstand.
In der nächsten Woche hatte James Rick gebeten, ihm das Boxen beizubringen, und ein Jahr später, nachdem er fünfzehn Zentimeter und gut dreißig Pfund zugelegt hatte, war es dann so weit gewesen. James konnte sich selbst behaupten.
Doch obwohl er zu seinem älteren Halbbruder aufschaute, hatte er stets auch Mitleid mit ihm empfunden: Er war aufgewachsen, ohne seinen Vater zu kennen – ein Polizeibeamter, der bei einem Einsatz erschossen worden war.
Trotzdem hatten sich ihre Wege schließlich getrennt, und James hatte seinen Bruder betrogen. Und seitdem dafür bezahlt.
Jetzt ließ er sich wieder auf seinen abgewetzten Schreibtischstuhl fallen.
»Wie läuft’s bei dir?«, fragte Rick ohne die Andeutung eines Lächelns, als würde es ihn in Wirklichkeit absolut nicht interessieren.
»Kann mich nicht beklagen.« James holte tief Luft und stellte dann die Frage, die ihm seit Monaten durch den Kopf ging. »Wie geht es Kristi?«
»Gut.«
»Ist sie auf dem College?«
»Ja.« Bentz’ Augen blickten ihn herausfordernd an.
James ging das Risiko ein. »Auf dem All Saints?«
»Richtig.«
»Und, wie macht sie sich?«
»Wie ich schon sagte: gut.«
»Kommt sie an Thanksgiving heim?«, erkundigte sich James, begierig auf jede noch so kleine Information über die Tochter, die bis vor ein paar Monaten geglaubt hatte, er sei ihr Onkel.
»Ja.« Ein Muskel an Bentz’ Wange zuckte, als würde auch er daran denken, wie er Kristi den verdammten Brief überreicht und anschließend eine Nachricht auf James’ Anrufbeantworter gesprochen hatte, in der er
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