Daniel Briester - Friedemann, A: Daniel Briester
konnte. Aber er war zu verliebt und verblendet gewesen. Inzwi- schen wusste er, dass es nie Gemeinsamkeiten gegeben hatte. Noch nicht einmal am Anfang. Nur an Petra wollte er gerade heute nicht denken. Es war nur Lug und Trug gewesen, aber er würde nie mehr eine Frau so nahe an sein Inneres heranlassen.
„Weißt du was, wir essen bei mir. Ich koche und du hilfst, das lenkt dich ab“, unterbrach Carola seine Gedankengänge.
„Du bist eine kleine Psychologin“, lächelte er.
„Nur eine Ärztin, die einiges erlebt hat. Vielleicht lernt man dabei Menschen kennen, wenn man sie nur beobachtet.“
Sie spazierten langsam zurück, gefolgt von einigen Enten, die neben ihnen schwammen, als wenn sie sagen wollten, nun her mit dem Fressen.
„Wieso bist du zur Polizei gegangen?“
„Ich fand es irgendwie interessant, zumal ein entfernter Verwandter Polizist ist. Ich wollte nie einen Bürojob wie mein Bruder. Er ist Rechts- anwalt. Handwerklich konnte ich mir nichts vorstellen, aber bei der Kripo zu arbeiten gefiel mir und ich habe mich richtig entschieden, obwohl es Nachteile hat.“
„Die wären?“
„Keine regelmäßigen Arbeitszeiten, dauernd hast du es mit teilweise bekloppten Typen zu tun, dazu Blut, Leichen, hysterische Weiber, Tränen, Geschrei, Anfeindungen.“
„Es gibt gewisse Parallelen zu meinem Job. Unregelmäßige Arbeits- zeiten, hysterische Weiber, Blut, Tränen, Geschrei, nur selten Tote.“
Er hörte ihr nur halb zu, da er an Sandra dachte und an dass, dass zwischen ihnen passiert war. Wie es ihr wohl ging? Drehte sie nun völlig durch? Vielleicht hatte sie das heute nur aus dem Schmerz oder der völligen Verwirrung heraus gesagt. So kalt und herzlos konnte keiner sein, selbst sie nicht, obwohl sie geldgierig war. Sie hatte sich immer um den Bruder gekümmert, obwohl sie dabei zu sehr geklammert hatte. Sie wollte nicht schwach erscheinen und mit den blöden Sprüchen wahr- scheinlich übertünchen, wie sehr sie trauerte. Sie kleidete sich wie eine Frau, verhielt sich wie ein Vamp, aber von ihrer Art her agierte sie wie ein Mann, versuchte keine weiblichen Schwächen zu zeigen. Aber er war ihr gegenüber nicht objektiv, da er Wut auf sie hatte, weil sie ihn zu diesem einen Mal verleitet hatte. Nur er war ein erwachsener Mann und hätte Nein sagen müssen.
Sandra hingegen saß wie betäubt auf der Couch. Es kam ihr vor, als wenn sie zugedröhnt wäre. So hatte sie sich damals nach dem Koks immer gefühlt. Wiederholt klingelte das Telefon, aber das ignorierte es. Sie wollte nicht hören, dass er tot war. Sie wollte nicht hören, wie leid es anderen tat. Sie wollte, dass er lebte, dass er zu ihr kommen würde. Sie wollte mit ihm sprechen, lachen. Dann kamen wieder die Tränen, sie weinte hemmungslos. Ihr Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, dann wieder lag sie wie erstarrt. Einmal fror sie, dann wieder war sie schweiß-gebadet. Sie stürmte hin und her, schrie, verfluchte diese Frau, die an allem schuld war, warf sich völlig erschöpft auf die Couch, trommelte auf die Polster, bevor der nächste Weinkrampf kam. Sie verfluchte den Briester, die Behrend. Schließlich griff sie zur Weinflasche, trank direkt daraus. Es war jetzt egal, alles war egal. Sie würde sowieso das nächste opfer werden. Sie hatte Volker verloren, alles nur wegen der Behrend. Irgendwann schlief sie betrunken ein.
*
Um kurz nach sechs betrat Daniel sein Büro. Er hatte kaum geschlafen. Das Geschehen belastete ihn. Er sah permanent das Gesicht des toten Volker Larsen vor sich. Er hatte viele Tote gesehen, aber das ging ihm besonders nahe, obwohl er es nicht wollte. Solche Gefühle durfte man in dem Beruf nicht haben, weil man ansonsten früher oder später Schiff- bruch erlitt, das physisch und psychisch nicht verkraften würde.
Die Überschrift auf der Titelseite beschäftigt sich, für ihn fast erwar- tungsgemäß, mit dem Selbstmord. Er konnte nicht mit seiner Schuld leben, hatte er gelesen, oder: Der Täter richtet sich selbst. Er las die Artikel nicht, weil es so nicht stimmte, blätterte weiter und versuchte sich dem Weltgeschehen zuzuwenden, aber irgendwie waren seine Gedanken nicht bei der Sache.
Gegen acht rief ihn Doktor Samuel Richter von der Gerichtsmedizin an. „Frau Larsen will den Bruder sehen. Er ist allerdings noch nicht soweit,…“
„Ich bin in fünf Minuten da. Sie soll warten.“
„Merde“, fluchte er vor sich hin, während er seine Jacke schnappte und aus dem Büro stürmte. Ich hätte damit rechnen
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