Danielle Steel
interessante Reise, und Kate hatte viel Spaß. Doch trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass nicht sie es war, die das alles erlebte. Als sie im Zug nach Hause saß, war sie erleich tert. Drei Tage blieben ihr noch, die sie allein m it ihren Erinnerungen an Joe verbringen konnte. Doch allmählich glaubte auch sie, dass er nicht mehr am Le ben war.
Als Kate Ende August nach Boston zurückkehrte, war Joe bereits seit neun Monaten verschollen. Niemand hatte etwas von ihm gehört, niem and hatte ihn gesehen. Washington und auch die Royal Air Force hatten Joe Allbright inzwischen für tot erklärt.
In jenem Somm er unternahm Ka te keinen Abstecher na ch
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Cape Cod. Sie verband zu viele Erinnerungen mit diesem Ort, wenngleich sie Joe dort auch nur zwei Mal getroffen hatte. Sie kehrte gerade rechtzeitig aus Kalifornien nach Hause zurück, um mit ihrem vorle tzten Studienjah r in Radcliffe zu beginnen. Sie würde ihr Examen in Geschichte und Kunst machen und hatte noch keine Ahnung, was sie damit anfangen wollte. Lehrerin zu werden, reizte sie nicht, aber es gab auch keine and ere Perspektive.
Einige Wochen, nachdem der Unterricht wieder begonnen hatte, traf sie sich mit Andy. Er war mittlerweile im dritten J ahr an der juristischen Fakultät und hatte kaum noch Zeit, um sich mit ihr zu verabreden. Das Studium gefiel ihm noch immer sehr gut, und er arbeitete hart.
Einige von Kates Freundinnen waren nicht mehr nach Radcliffe zurückgekehrt. Zwei hatten im Sommer geheiratet, eine andere war an die Westküste gezogen. Eine vierte musste ihre Mutter unterstützen, denn ihr Vater und ihre beiden Brüder waren im vergangenen Jahr gefa llen. Die Welt schien beinahe nur noch aus Frauen zu bestehen. Berufe, die vor dem Krieg von Männern ausgeübt worden waren, wurden nun von Frauen übernommen. Mittlerweile hatte man sich daran gewöhnt. Früher hatte Kate ihre Elte rn manchmal geneckt, indem sie ihnen damit drohte, Busfahrerin zu w erden, wenn sie erst ein mal erwachsen sei. Nun jedoch gab es gar keinen Beruf, der sie auch nur ansatzweise interessiert hätte.
Sie war jetzt einundzwanzig Jahre alt und würde bald ihren Abschluss in Radcliffe machen. Sie war intelligent, hübsch und hatte ein einnehmendes Wesen. Ihre Mutter war sicher, dass sie längst verheiratet wäre und Kinder hätte, wenn nicht der Krieg dazwischen gekomm en wäre. Doch Kate war seit Joes Tod außer mit Andy überhaupt nicht mehr ausgegangen. Einige der Harvardstudenten hatten sich mit ihr verabreden wollen, doch Kate wies alle ab. Diese Jungs interessierten sie nicht im Geringsten. Sie wartete noch im mer auf eine Nachricht aus
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Washington. Schon oft hatte sie sich genau ausgemalt, wie der Anrufer ihr m itteilen würde, da ss Joe noch lebte. Und vie lleicht würde eines Tages sogar jemand zu ihr kommen und ihr sagen, dass im Besucherraum des W ohnheims ein Mann auf sie warte … Ständig hielt sie nach Joe Ausschau, wenn sie in den Bus stieg, wenn sie um eine Ecke bog oder die Straße überquerte. Sie konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass er von dieser Welt verschwunden war.
Die Ferien bedeuteten Kate gar nichts in jenem Jahr, obwohl der Schmerz nicht mehr so groß war wie im Jahr zuvor. Sie hatte sich beruhigt und zeigte sich gegenüber ihren Eltern freundlich und zuvorkommend. Nur wenn ihre Mutter sie drängte auszugehen, wechselte Kate entweder das Thema oder verließ verärgert den Raum. Ihre Eltern gaben allm ählich die Hoffnung auf, dass Kate einen anderen Mann fand, und Elizabeth hatte Clarke gegenüber bereits geäußert, dass Kate bestimmt als alte Jungfer enden würde.
»Das glaube ich kaum.« Clarke lachte. »Meine Güte, sie ist erst einundzwanzig, und wir befinden uns im Kr ieg! Warte erst einmal ab, bis unsere Jungs wieder zu Hause sind.«
»Und wann wird das sein?«, fragte Elizabeth vorwurfsvoll. »Bald, hoffe ich.«
Doch darauf gab es nicht den kleinsten Hinweis.
Im August wurde Paris befreit. Russland hatte den Deutschen widerstanden, und die Rote Armee war in Polen eingerückt. Doch im Septem ber verschärften die Deutschen ihre Luftangriffe auf England. Außerdem verlief die deutsche Offensive in den Ardennen für die Alliierten äußerst ungünstig. Die Panzerschlacht, die über Weihnachten tobte, kostete vie len Männern das Leben und entmutigte die Menschen in der Heimat.
Am letzten Tag der Weihnachtsferien kam Andy Scott m it einigen Freunden bei Kate vorbe i, und sie willig te schließlich
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