Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
erst am 25. aus Peking anreisen konnte und die Mutter schon am 25. abends wieder nach Winterthur musste, wo sie einen Vortrag mit ihrem Kiefer hielt. Ansonsten hätte man die genannten Familien einfach übereinanderlegen und denselben Umriss zeichnen können. Mit noch einer kleinen Abweichung, dass in der Familie Jansen der Kontakt zur großmütterlichen Seite eingestellt worden war.
Bei Mara hatte der Vater am zweiten Feiertag Innendienst auf der Wache, den ersten Feiertag verbrachte man mit beiden Großelternpaaren in den eigenen vier Wänden, wo die Mutter sich beinahe ganztägig in der Küche aufhielt, weil deren Schwiegermutter so eine exzellente Köchin war. Maras Mutter mühte sich also mit der Zubereitung der Speisen ab, das Damoklesschwert über sich baumelnd, ob eben erwähnte Köchin Schwiegermutter mit Köchin Schwiegertochter einverstanden sein würde. Was anscheinend jährlich neu entschieden wurde. Die Luft flirrte. Neben der anspruchsvollen Tätigkeit an Schneidebrett, Herd und Backofen fand sie noch ausreichend Gelegenheit, mit Maras Schwester Lara darüber zu streiten, ob diese um zweiundzwanzig Uhr noch zu Freunden gehen durfte, obwohl Weihnachten ein Familienfest war und Freunde nicht blutsverwandt.
Mara hatte sich mit der Hörbuchproduktion »Herr der Ringe« in ihr Zimmer zurückgezogen und erschien nur zu den Mahlzeiten.
Felix’ Weihnachtsfest spielte sich am ersten Tag mit und bei seiner Mutter ab, wo die beiden nach der Bescherung mit leckeren Häppchen und Getränken vor ihren Lieblings-DVDs Platz nahmen, inklusive des Wettbewerbs, wer die meisten Texte mitsprechen beziehungsweise Lieder mitsingen konnte. Den zweiten Feiertag verbrachte er mit seinem Vater, der wiederum mit ihm dann bei den eigenen Eltern vorstellig wurde. So war durch die Oma die Speisefrage geklärt – Kartoffelsalat mit Würstchen – und musste nicht vom Vater selbst in Angriff genommen werden.
Bei Luise fand aufgrund der pflegebedürftigen Großmutter alles in deren Räumen statt, und ihre Erzählungen, nachdem man diese zu vielen Feiertage überstanden hatte, klangen allesamt traurig. Luise hatte sich damit gerettet, dass sie sich mit ihrer Dienstags-Freundin Mara im Bad in ein Dauertelefonat begeben hatte, was man sich wahrscheinlich so vorstellen musste, dass Luise durchsprach, während Mara den Hörer am einen, den Herrn der Ringe im anderen Ohr hatte. Mara konnte wahnsinnig gut zuhören.
Ich persönlich hatte für die Tage meine Zelte bei Malte aufgeschlagen. Polly hatte mir die Weihnachtstage in ihrer Familie fürsorglicherweise vorenthalten wollen, und so waren wir auf Malte gekommen, bei dem es sich so wunderbar im Kapuzenpulli saß. Korrekterweise muss ich sagen, ich hielt mich in diesen Tagen, wie die Mitglieder der Familie Rückert auch, die meiste Zeit im Auto auf, weil es, nach einem turbulenten Heiligen Abend, an dem Koffer zu packen, zu bescheren, zu essen gewesen war und noch irgendetwas wie jedes Jahr hatte gemacht werden müssen, am folgenden Tag auf Reisen gegangen war.
So, und jetzt schreibe ich im Präteritum weiter, ich mache mich doch nicht weiter mit Ihrem bescheuerten Plusquamperfekt verrückt.
Man fuhr in diesem Jahr zuerst zu Herrn Rückerts Eltern, die am ersten Feiertag dran waren, weil sie im vergangenen Jahr die Zweiten gewesen waren. Bei den Rückerts suchte man nämlich alljährlich die Großelterngeneration auf, weil diese sich auf beiden Seiten weigerte, den eigenen Tannenbaum nebst eigener Krippe zu verlassen. Und die akribisch darüber wachte, dass Aufmerksamkeit der Folgegenerationen sowie Feiertage ohne Abweichung gerecht aufgeteilt wurden.
Zur Umsetzung des diesjährigen Weihnachtsplanes setzte man sich also am 25. Dezember des Morgens ins Auto, um nach gefühlten mehreren Tagen mit einem reich gefüllten Wagen Emden zu erreichen. Dort füllte man um, die einen Geschenke raus, neue rein, und fuhr dann am darauffolgenden Tag mit dieser Wagenfüllung und der, die ja noch auf Umverteilung beim zweiten Großelternpaar wartete, nach Karlsruhe.
Im Auto, auf Maltes Schoß, wurde ich auf beiden Reisen, die die Familie nach ihrem Besuch von den jeweiligen Großeltern wegführten, Zeugin eines nahezu deckungsgleichen Dialogs zwischen Vater und Mutter Rückert:
»Das mach ich kein Jahr länger mehr, das sag ich dir!«
»Jetzt kommt das schon wieder!«
»Wie, jetzt kommt das schon wieder?!«
»Na, wie ich gesagt habe! Jetzt kommt das schon wieder: ›Ich setz mich auf keinen
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