Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
das geht ja noch hundert Jahre so. Immer muss man schreiben, schreiben, schreiben. Ich kann noch nicht mal mein Lieblingswort richtig schreiben: Scheiße. Immer schreib ich das verkehrt. Immer! Mal schreib ich das klein, mal groß, mal mit ai, mal mit ei, mal so, mal so. Ich glaub, mein Vater würde mich sofort umtauschen, wenn man dafür irgendwohin gehen könnte.«
»Man will doch sein Kind nicht umtauschen! So ein Blödsinn!«
»Und ob! Der ist sich voll am Schämen wegen mir, kannste aber glauben. Das ist dem so megapeinlich, das schwör ich dir! Der hat bei dem Test, wo ich beweisen musste, dass ich nicht total doof im Kopf bin, da hat der bei der Frau so megamäßig gepumpt, weißte was ich meine? So, ja, ich bin Dr. Blendow, und dann hat der seine Visitenkarte der Frau gegeben, da steht drauf, Megaanwalt, so für Riesenkonzerne, und wenn die noch einen Konzern kaufen wollen, aus China, dann sagt der denen, ob das geht und so. Das hat der der alles gesagt! Und die so, äh, ja, und dann so zu mir, warst du denn auch schon mal mit in China. Ich so, hä?! Der nimmt mich doch nicht mit nach China! Na ja, und dann hat die den Test mit mir gemacht. Ich alles richtig beantwortet und angekreuzt und so, nur, wenn ich selber was schreiben sollte: voll Grütze. Wie der sich gefreut hat, als die trotzdem gesagt hat, ja, also, Ihr Sohn ist voll intelligent, wie der sich da gefreut hat, so strahl!, das war so megapeinlich, aber echt! Als ob die dem gesagt hätte, dass der selber nicht krass doof ist!«
Bei der Schilderung dieses Vaters fiel mir ein Mäusevater aus unserer Nachbarschaft ein. Der war irgendein hohes Tier gewesen mit Andere-Mäuse-Kommandieren und solchen Aufgaben, aber wenn der sich unbeobachtet fühlte, dann roch der sich heimlich am Hinterteil. Und so etwas tut ein souveräner Mäuserich definitiv nicht. Und ein souveräner Menscherich braucht keinen Sohn mit Spitzenergebnissen.
»Wieso ist denn deine Mutter nicht mit dir dahin gegangen, vielleicht wäre das besser gewesen?«
»Die hatte da gerade so ’nen komplizierten Fall, da musste die paar Stunden operieren, so mit Knochen von irgendwoher rausholen und dann ins Gebiss raufverlegen, irgendwie so. Und Papa war halt an dem Tag grade mal da. Normal mach ich so Sachen ja auch mit der Nina, aber Papa wollte der Frau wohl zeigen, super Familie und Doktor Blendow, alles cool. Da kann der ja nicht die Nina schicken. Oder die Mirja.«
In der Familie Blendow war alles tipptopp durchorganisiert. Die Eltern hatten sich nicht groß aufhalten lassen von der Ankunft ihrer Kinder. Alles war so geregelt, dass die Kinder stets einen festen Ansprechpartner hatten. Sie waren sofort versorgt, wenn sie krank wurden, und sie trugen stets die entsprechende Kleidung zum entsprechenden Wetter. Diese Aufgaben wurden allerdings in den seltensten Fällen von den Eltern selbst übernommen, sondern eben von Nina und Mirja, die das mit großer Leidenschaft bewerkstelligten. Darauf hatten die Eltern bei der Auswahl des Personals geachtet: dass sie ihre Kinder gern betreuten.
Paul und Anna liebten Nina und Mirja. Die beiden Cousinen aus der Ukraine wohnten im Souterrain des Hauses, waren also immer schnell zur Stelle. Oft bekamen die Eltern gar keinen Wind davon, wenn der Sohn oder die Tochter krank wurden und das Bett hüten mussten. Ein spontaner Zugriff auf die Eltern war so gut wie nie möglich, und bis die Eltern von ihren Kongressen und Kartellgesprächen aus aller Welt zurück waren, hatten die beiden Kinderfrauen durch eine Betreuung mit Hühnersuppe, Liedersingen und Badewanne die Kinder längst wieder aufrecht stehen.
Waren das die Franzosen, die teilweise heute noch ihre Eltern siezten?
»Tja, Paul, Papa hin, Papa her, was machen wir denn jetzt mit deinen Deutsch-Aufgaben heute?«, fand ich ins Gespräch zurück.
»Kannst du das nicht machen? Bitte!«
»Mein lieber Paul, ich kann dir gerne die ganze Woche deine Deutsch-Aufgaben machen ...«
»Yeah!«
»... und was machst du ab nächste Woche, wenn ich nicht mehr bei dir wohne, Schlauberger?«
»Siehste! Jetzt sagst du’s auch: Ich bin doch doof!«
Ich hätte mir jedes Schnurrhaar einzeln ausreißen können! War ich nicht ganz bei Trost?! Wie gedankenlos ich Paul mal eben für blöd erklärt hatte! Der analysiert dir stocknüchtern die Bedürftigkeit seines Vaters, dann macht er einen Denkfehler und zack! gehst du genau dadrauf! Das kann man besser gar nicht machen, Britta!
»Paul, hau mir eine runter! Ich bin
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