... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
alten Handschrift zu verstehen! War das Englisch oder Gälisch? Oder etwas völlig anderes? Latein vielleicht? Oder gar Französisch? Deutsch hätte sie vermutlich erkannt – oder auch nicht.
Je weiter sie blätterte, desto leserlicher kamen ihr die einzelnen Texte vor, obwohl sie noch immer keinen davon übersetzen konnte. Nicht einmal die Erklärungen unter den feinen Miniaturen, Skizzen und Plänen vermochte sie in Verbindung mit den Darstellungen zu deuten. Das wäre eine lohnende Aufgabe für Adrian gewesen, ging es ihr durch den Kopf. Seine Engelsgeduld und grenzenlose Ruhe gepaart mit seinem ausgeprägten Verständnis für Sprachen hätten ihn geradezu dafür prädestiniert, dieses Buch zu lesen.
Ihr Herz machte vor Schreck einen Satz, als ein Bündel einzelner Blätter zwischen der letzten Seite und dem Buchdeckel hervor rutschte. Wie zur Salzsäule erstarrt sah sie zu, wie sie zu Boden segelten. Leise fluchend ließ sie sich mit untergeschlagenen Beinen inmitten der Blätter nieder und machte sich daran, sie nach Sprachen zu sortieren, bis sie bemerkte, dass es sich um Übersetzungen handelte, gut leserliche obendrein. Da gab es französische Texte, die sich mit den ersten hundert Jahren der Geschichte dieses Hauses beschäftigten, wie sie dank der römischen Jahreszahlen herausfand. Die nächsten waren auf Gälisch geschrieben, was sie an den zahlreichen Punkten über den Buchstaben erkannte. Von der englischen Übersetzung verstand sie schon einiges mehr, bis sie endlich auf einen zum Teil mit Schreibmaschine geschriebenen deutschen Text stieß.
Und ehe sie es sich versah, versank sie in die Beschreibung der Wohnburg mit den vier Rundtürmen und den Kegeldächern aus dem fünfzehnten Jahrhundert, mit der wohl alles seinen Anfang genommen hatte.
Wer immer das übersetzt haben mochte, Matthias’ Klaue auf jeden Fall erschien auf keinem der Texte. Susanne vermutete ohnehin, dass er solche Pamphlete von seinem Computer hätte bearbeiten lassen.
Den Aufzeichnungen zufolge – der gälische Text war eine Übersetzung des französischen, der englische wiederum eine Übersetzung des gälischen und der deutsche schließlich eine Übersetzung des englischen und alle waren sie mit erklärenden Randbemerkungen versehen, was Suse äußerst lobenswert fand – wurde ein Robert de Vieuxchamps als Erbauer der Burg genannt. Er war der Neffe eines englischen Ritters, welcher unter anderem in der Normandie weitläufige Besitzungen sein eigen nannte und eine davon seiner verwitweten Schwester Cecily vermachte, deren Gatte, ein verarmter, normannischer Adliger, im Gefolge seines Schwagers sein Leben in einer bewaffneten Auseinandersetzung gelassen hatte.
Eine handschriftliche Notiz wies den unbedarften Leser darauf hin, dass die blutigen Konflikte zwischen Engländern und Franzosen der Hundertjährige Krieg genannt wurden, obwohl später freilich niemand mehr in der Lage war zu sagen, wie lange er wirklich gedauert hatte. Trotz der militärischen und wirtschaftlichen Überlegenheit der Engländer wurden sie vernichtend geschlagen, als die Jungfrau von Orleans auf den Plan trat und die Franzosen nun mit göttlichem Beistand den Kampf aufnahmen.
Hätte die Katastrophe abgewendet werden können, wenn die militärischen Erfolge von Richard Plantagenet aus dem Haus mit dem Ginsterzweig im Wappen – aha, daher also der Name: planta genest – den Ministern von König Heinrich VI. nicht Anlass zur Sorge gegeben hätten und sie den folgenreichen Fehler begingen, den Sieger aus so vielen Schlachten nicht weitersiegen zu lassen?
Richard Plantagenet, Herzog von York, wurde aus Frankreich abgezogen, 1447 zum lord lieutenant ernannt und nach Irland versetzt, um ihn aus dem Zentrum der Macht in London zu entfernen. Obwohl er während seiner sechsjährigen Amtszeit als Militärgouverneur von Irland gerade mal zwei Jahre auf der Insel verbrachte, benötigte er lediglich ein paar Monate, um nahezu die gesamte irische Ostküste von Ulster bis Leinster unter englische Kontrolle zu bringen und zum zweitgrößten Grundbesitzer von Irland (nach der Kirche selbstverständlich) zu werden. Hätte es nicht an weiteren Truppen und zusätzlichen Finanzmitteln gefehlt, wäre sogar eine erstmalige Unterwerfung der unabhängigen kelt-irischen Territorien im Westen der Insel möglich gewesen.
Suse hob nachdenklich die Augenbrauen. Dieser Teil des Geschichtsunterrichts war eigenartigerweise spurlos an ihr vorbeigegangen. War sie damals vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher