... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
Gespür flüsterte ihr, dass sie mit dem alten Mann jemanden gefunden hatte, der ihr mehr über die gräfliche Familie erzählen könnte.
S uchend schweifte ihr Blick umher, allerdings konnte sie Níall nirgendwo entdecken. Was war in ihn gefahren, Hals über Kopf das Weite zu suchen – noch ehe er sein Glas ausgetrunken hatte? Hatte seine Flucht etwas mit seiner Schwärmerei für Deirdre zu tun? Oder was hatte es mit Clausings Mutter auf sich?
Langsam lief Suse die Straße hoch und wieder zurück. Níall konnte sich wohl kaum in Luft aufgelöst haben. Vielleicht war er ja mit Sieben-Meilen-Stiefeln in den nächsten Pub marschiert. Da es davon allein in dieser Straße ein halbes Dutzend gab, würde sie ihr Gespräch wohl besser auf später verschieben. Sie wollte Máirtín nicht verärgern, indem sie ihn einfach sitzen ließ.
Irgendwann ei nmal – zufällig natürlich – würde sie Níall schon in einer der Kneipen aufspüren.
Als sie die Tür zu Dermot Nolan’s Pub öffnete, hätte sie der ohrenbetäubende Lärm beinahe umgehauen, ein zum Schneiden dickes Gemisch aus Banjos, Geigen und Blechflöten, heiseren Stimmen, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchten, und wildem Gegröle der Amerikaner, die in den Refrain von „A nation once again“ einfielen. Dieses Getöse würde Gehörgeräteakustikern in ein paar Jahren lukrative Einnahmen bescheren, ging es Suse durch den Kopf. Die Menschen drängten sich auf der Tanzfläche, an den Tresen, von dort zu den Toiletten und augenscheinlich amüsierten sich alle prächtig.
Ihr Puls beschleunigte sich vor Aufregung, während sie sich zu dem Tisch durchkämpfte, an dem sie Máirtín zurückgelassen hatte. Es fiel ihr schwer, seinen starren Gesichtsausdruck zu deuten. In Wahrheit fühlte sie sich in seiner Gegenwart nicht recht wohl und er schien heute ebenfalls eher einsilbig. Eigentlich bestand auch nicht die Notwendigkeit für ein Gespräch, da alle anderen redeten.
K eine zehn Minuten später trank sie mit Menschen, deren Gesichter sie nie zuvor gesehen hatte, und beantwortete hunderte Fragen nach ihrem Zuhause und ihrer Familie, Fragen nach dem Befinden der Ó Briains und den Zukunftsplänen des Grafen. Alle ließen sie an der Ausgelassenheit teilnehmen, was sie tief berührte und ihr zu erkennen gab, dass sie nicht länger als Fremde angesehen wurde. Eine hübsche, junge Frau, die sich als Betty Jane Casey vorstellte, erkundigte sich mit geröteten Ohren nach dem Blütenstand der Pflanzen in Eans Garten und den Aussichten für eine Wiederbelebung der Pferdezucht auf Sean Garraí. Da Suse bisher nichts davon gehört hatte, dass das Gut früher am laufenden Band preisgekrönte Pferde hervorgebracht hatte, war das Gesprächsthema für die nächste Stunde gesichert.
Ungeachtet dessen wanderte Suses Blick immer wieder zur Tür in der Hoffnung, Níall würde doch noch auftauchen und ihr einmal begonnenes Gespräch beenden. Sie lauschte verzückt der Musik, den mal donnernden Melodien, mal rührseligen, gälischen Weisen. Zwischendurch erhielt sie eine weitere Lektion in der Komplexität irischer Verwandtschaftsbeziehungen. Augenscheinlich genügte es, zwei wildfremde Iren in einen Raum zu setzen und bereits nach wenigen Minuten kannten sie die jeweiligen Familiengeschichten und hatten gemeinsame Verwandte und Bekannte der letzten dreihundert Jahre ausgegraben. In diesem Fall waren es Aaran und Donal, zwei junge Burschen, die Máirtín an seinen Tisch winkte. Wie sich herausstellte, waren sie die Söhne der Cousine zweiten Grades von Pádraig Ó Briain.
„Wenn man euch so sieht, glaubt man kaum, dass ihr irgendwie mit Ean und Fearghais verwandt seid. Wohnt ihr auch in Killenymore? An Beltane habe ich euch zumindest nicht gesehen.“
„Stimmt, da saßen wir an einem an deren Feuer“, bemerkte Donal vieldeutig grinsend und wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum von der Oberlippe. „Wir wohnen zwei Dörfer weiter. Da bei uns noch weniger los ist als in Killenymore, fahren wir immer mal wieder hierher.“
Flankiert vo n Máirtín und Donal verfolgte Suse mit einem Ohr deren Diskussion über die Chancen des FC Shelbourne, auch in diesem Jahr wieder Irischer Meister zu werden, und die Möglichkeit einer Nutzung des Croke Park in Dublin für nicht-irische Sportarten. Dass sich Irland und Schottland um die gemeinsame Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft bewerben wollten, wusste sie von ihrem Bruder Jasdan. Neu war ihr dagegen, dass dieses
Weitere Kostenlose Bücher