... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
Merrows !“
Sie machte es sich im Schneidersitz in ihrem Sessel bequem. Vor sich auf dem kleinen Glastisch hatte sie eine Mugg Kaffee stehen, daneben ein fast ebenso großes Glas uisce-beatha , zu dem ihr Máire dringend geraten hatte.
„In Schottland werden sie Selkies genannt. Es sind Seejungfrauen, die im Gegensatz zu den Meerweibern in den meisten Gegenden der Welt lediglich flachere Füße als Menschenfrauen und dünne Schwimmhäute zwischen den Fingern haben.“
Kritisch beäugte Suse ihre kleine Hand mit den gespreizten Fingern und fragte sich, ob ein solch unb edeutender Makel einen Mann stören würde. Wenn alles sonst mit ihr stimmte …
„Lediglich am Rande, weil der Vollständigkei t halber, sei erwähnt, dass es – obwohl sie bloß selten zu sehen sind – selbstverständlich genauso Wassermänner gibt. Im Gegensatz zu den schönen Meerjungfrauen sind sie jedoch ausgesprochen hässlich, haben runzlige Schweinsgesichter und Haifischzähne. In Anbetracht dieses Umstandes ist es nicht verwunderlich, dass die Merrows äußerst freizügig in ihrer Beziehung zu sterblichen Männern sind. Wenn ein Meerweib an Land geht, legt sie ihre rote Mütze aus Federn und ihren Mantel ab. Derjenige, der ihre Kleidung findet, gewinnt alle Macht über sie, denn ohne diese Sachen kann sie nicht ins Meer zurück. Wenn der Fischer sie überreden kann, ihn zu heiraten, sind ihm nicht allein eine treue Ehefrau und eine hervorragende Köchin sicher, sondern ebenso deren Schätze, die sie mit ihren Schwestern aus gesunkenen Schiffen holt.
Allerdings gibt es ebenso Meergeister, die als Menschen geboren, vom Meervolk verschleppt und in Tír fo Thóinn aufgezogen wurden. Selbst wenn sie ihre menschliche Herkunft vergessen haben und glücklich im Land unter den Wellen leben, kommen die Erinnerungen an das Leben auf der Erdoberfläche zurück, sobald sie Land betreten. Eine Rückkehr ins Wasser ist ihnen dann unmöglich.
Kinder aus einer Verbindung zwischen Mensch und Selkie sind mit vielen übersinnlichen Gaben gesegnet. Sie sind gut aussehend, von kräftigem Wuchs und schöner Gestalt und mit so viel Zauberkraft gesegnet, wie es dem lieben Gott gefällt. Und doch überwältigt sie oft tiefe Trauer. Sie sind Mischlinge, hin- und hergerissen zwischen See und Land, zwischen Meergeist und Mensch. Sie gehören nirgendwohin. Die Furcht, verlacht oder abgelehnt zu werden, verfolgt sie auf Schritt und Tritt. Manchmal sieht es so aus, als hielte Verzauberung und nicht Liebe ihre Ehegatten an ihrer Seite . Und manchmal ist selbst Verzauberung nicht genug.
Unter Menschen und Selkies sagt man, dass jene Halbwesen, die nicht in ihrem Herzen Frieden mit sich schließen können, dazu verurteilt sind, elend zu Grunde zu gehen, während die, die sie lieben, hilflos zuschauen müssen. “
Suses Herz setzte einen Atemzug lang aus und Tränen schossen in ihre Augen.
„ Oh Gott, Adrian, wer bist du?“ flüsterte sie gequält. „Ist das dein Geheimnis, das du nicht mit uns teilen konntest? Aber warum? Wer. Bist. Du? Ich weiß, das ist Unsinn … unmöglich, trotzdem … Sie haben von dir geschrieben. Das bist du, nicht wahr? Du hast immer geglaubt, nirgendwohin zu gehören. Du wolltest dich nicht bei mir zu Hause fühlen, bei mir und deinen Kindern, bei deinem Bruder. Aber es war gar nicht unsere Schuld. Keine Macht dieser Welt hätte dich bei uns halten können.“
Mit zitternden Fingern blätterte Suse auf die nächste Seite, doch das Kapitel war an dieser Stelle zu Ende.
Matthias hatte Adrian einmal als den weltbesten Schwimmer bezeichnet. Und Fíona hatte eine Feder aus dem cohullen druith gefunden. Da brat mir doch einer ’nen Storch! Wollte sie sich jetzt allen Ernstes einreden, Deirdre sei eine Meerjungfrau gewesen, die ertrinken musste, weil sie sich in den Grafen verliebt und der ihre Mütze versteckt hatte, um sie bei sich zu behalten? Oder, was nicht minder abenteuerlich klang, dass Adrian im Land unter dem Meer aufgewachsen war, diese Zeit aber vergessen hatte, weil er irgendwann an Land ging?
Was war Dichtung , was Wahrheit in der Geschichte von den Merrows und Deirdres Sohn?
3 0. Kapitel
Die Dämmerung begann das Tageslicht zu schlucken. Eifrige Grillen stimmten ihre Geigen für die allabendliche Soiree, während sich Myriaden von Insekten und Mücken zur Nachtschicht rüsteten und in ein vielstimmiges Summen und Brummen einfielen. Seit Jahrtausenden hatte sich nichts am Lauf der Dinge auf diesem Flecken Erde
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