... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
Geheimschrift“, sie betonte die nächsten Silben auf eine fast unverschämte Weise, „zu le-sen?“
„Nein, leider nicht. Dabei gibt es von diesen Zeichen bloß fünfundzwanzig. Sie zu deuten dürfte bestimmt nicht so schwer sein , möchte man meinen. Ein gewaltiger Irrtum.“
„Meinst du, das Gekritzel in den Steinen kann heutzutage noch jemand entziffern?“
„Ossi.“
11. Kapitel
„O … Adrian?“ Susannes Kopf schnellte in die Höhe. Ungläubig starrte sie den Grafen an. „Woher willst du das wissen?“
„Er war das einzig wahre Genie“, stieß Matthias ungehalten hervor. „Er war einfach unübertroffen. Keine Sprache wäre für ihn zu komplex gewesen, keine Schrift zu kompliziert, als dass er sie nicht hätte lernen und beherrschen können.“
„ Redest du von … du meinst Adrian? Unseren … Das habe ich nicht gewusst.“
„ Du kannst mir glauben, wir haben vieles nicht gewusst, was Ossi betraf. Dreißig Jahre habe ich ihn gekannt und selbst heute noch zerbreche ich mir den Kopf darüber, was ich überhaupt von ihm wusste. Wieder und wieder frage ich mich, ob ich dieses Desaster irgendwie hätte verhindern können, wenn ich Ossi nur besser verstanden hätte. Und immer komme ich zu dem Schluss, dass ich ihn nie gekannt habe. Nicht wirklich. Nicht sein wahres Ich. Und dass er deswegen alleine dort unten sterben musste, weil ich nämlich keine Ahnung hatte, was in ihm vorging.“
„ Sag nicht so was, Matt’n. Wir sind nun mal keine Hellseher und konnten deswegen nicht mehr erkennen als das, was er uns von sich zeigen wollte.“
„Ha! Was war das schon ? Ein kleines Stück Fassade ließ er uns sehen, mehr doch nicht.“
„ Du glaubst also, Adrian hätte nicht bloß Gälisch verstanden, sondern sogar Ogham lesen können?“
„ Er beherrschte sämtliche alten und neuen Weltsprachen fließend in Wort und Schrift. In der Reederei ging sogar das Gerücht, er würde sich auf jeder Fahrt – selbst bei solchen in die exotischsten Häfen am anderen Ende der Welt – mit den jeweiligen Landessprachen beschäftigen, sodass er stets in der Lage war, mit den Einheimischen zumindest einfache Konversation zu treiben. Er hat Vokabeln aufgeschnappt wie Kopfläuse. Nicht nur wegen seiner Kochkünste war er einer der gefragtesten Männer in der Reederei.“
Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, strich sich nachdenklich übers Kinn, bevor er leise fortfuhr: „Das Irische jedoch … Gälisch war seine Muttersprache. Ich habe lange gebraucht, um das zu erkennen. Einmal haben wir uns über den Keltischen Baumkalender unterhalten, über die Wanderung der Kelten durch Europa und die Entwicklung ihrer Sprache. Ossi schien bei diesem Thema regelrecht aufzuleben. Es war wie bei einer Pflanze, die nach langer Trockenheit gegossen wurde und plötzlich mit sämtlichen in ihr schlummernden Kräften prachtvolle Blüten produzierte. Für einen Laien wusste er viel zu gut Bescheid, das war mir vom ersten Moment an klar. Als er bei all der Begeisterung über unser Gespräch mit einem Mal begriff, was er da von sich preisgab, brach er mitten im Satz ab. Dann drehte er sich um und ließ mich ohne Erklärung stehen wie einen kleinen, dummen Jungen.“
„Typisch Adrian. “ Dabei hatte sie sich immer eingebildet, er wäre lediglich ihr gegenüber so maulfaul gewesen. Irgendwie tröstete es sie, dass sogar Matthias seinem Freund nicht alle Geheimnisse hatte entlocken können. „Warum hat er nichts aus diesem Talent gemacht?“
„Du meinst, warum er es nie weiter brachte als zu einem kleinen Koch?“
„Das war er nicht!“, protestierte sie und wusste doch, dass Matthias Recht hatte. „Aber er hätte sicherlich alles Mögliche werden können mit dieser Begabung.“
„Ja, das hätte er zweifellos. Seine Genialität erstreckte sich nämlich nicht allein auf den Bereich der Linguistik. Einmal wollte ich ihn zu einem Intelligenztest überreden , einfach so aus Spaß an der Freude. Ich habe damals nicht verstanden, warum er sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte.“
„Hat er überhaupt jemals etwas bloß aus Spaß gemacht? Ausschließlich zu seiner Unterhaltung?“
„ Niemals. In diesem Fall wollte er vor allem vermeiden, mich zu beschämen. Er war auf nahezu jedem Gebiet unschlagbar. Und das hat er genau gewusst. Ich vermute, sein IQ war sogar höher als der Mount Everest. Es mag kurios klingen, trotzdem sind Zurückhaltung und Intelligenz unzertrennliche Eigenschaften.
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