Dann eben nicht, Jeeves
zu ziehen.«
Ich strich mir gedankenvoll übers Kinn. Es war zugegebenermaßen etwas dran an dem, was sie sagte. Ich wußte nur zu gut, was für ein schrecklicher Schlag Anatoles Kündigung für Onkel Tom sein mußte.
Ich habe ja schon an früherer Stelle gesagt, daß dieser komische Vogel, dem Tante Dahlia ihr Jawort gegeben hat, immer aussieht wie ein leidender Flugsaurier. Der Grund dafür ist, daß er sich in den Jahren, als er im Fernen Osten seine Millionen machte, den Magen ruiniert hat; und der einzige Koch, der jemals in der Lage war, ihm Essen zu verabreichen, ohne daß es gleich darauf in der Gegend seines dritten Westenknopfs einen Polterabend gab, ist dieser begnadete Anatole. Wenn der nun seine Schürze an den Nagel hängte, würde meine Tante von ihrem Gespons nur noch finstere Blicke ernten. Ja, zur Zeit sah alles etwas trüb aus, und ich muß zugeben, daß mir auch nichts Konstruktives einfiel.
Da ich jedoch über kurz oder lang mit dem Eintreffen frischer Ideen rechnete, setzte ich eine optimistische Miene auf.
»Unerfreulich«, gab ich zu. »Zweifellos ist das recht unerfreulich und ein Schock für alle Beteiligten. Aber keine Sorge, Tante Dahlia, ich werde das schon wieder hinbiegen.«
Ich habe bereits bei früherer Gelegenheit auf die Schwierigkeit hingewiesen, zu taumeln, wenn man auf einem Stuhl sitzt, und ich sagte, daß ich dazu nicht in der Lage sei. Tante Dahlia tat es jetzt zu meinem größten Erstaunen, und zwar anscheinend völlig mühelos. Obwohl in einen tiefen Sessel gezwängt, schwankte sie wie ein Rohr im Winde. Furcht und Entsetzen standen ihr ins Gesicht geschrieben.
»Wenn du dich unterstehen solltest, noch so einen von deinen verrückten Plänen …«
Es war offensichtlich zwecklos, mit ihr zu diskutieren. Dazu war sie nicht in der richtigen Stimmung. Deshalb ließ ich es bei einer stummen Geste des Mitgefühls und verließ den Raum. Ob sie tatsächlich eine ledergebundene Prachtausgabe der Werke von Alfred Lord Tennyson hinter mir herwarf, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Ein solcher Band hatte zwar auf einem Tischchen neben ihr gelegen, und beim Hinausgehen war mir so, als sei etwas mit dumpfem Krachen gegen die Türfüllung geflogen, aber ich war zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, um der Ursache nachzuspüren.
Ich machte mir Vorwürfe, daß ich nicht rechtzeitig bedacht hatte, welche möglichen Auswirkungen die Nahrungsverweigerung fast der gesamten Belegschaft auf Anatoles impulsives provenzalisches Temperament haben könnte. Ich hätte wissen müssen, daß diese Südländer sehr empfindlich sind. Es ist ja bekannt, daß sie schon bei der geringsten Kleinigkeit an die Decke gehen. Zweifellos hatte der Mann seine ganze Seele in diese nonnettes de poulet gelegt, und als er mitansehen mußte, wie sie wieder retour kamen, war das für ihn wie ein Messerstich.
Aber wenn das Kind erst mal in den Brunnen gefallen ist, dann läßt sich nicht mehr dran rütteln. Es war nun Bertrams Pflicht, alles wiedereinzurenken, und gerade ging ich auf dem Rasen auf und ab, um mir diesbezüglich etwas einfallen zu lassen, da drang ein Stöhnen an mein Ohr, wie es für verlorene Seelen typisch ist, und ich dachte schon, es müsse Onkel Toms Lippen entflohen sein, der seine Zelle verlassen habe, um im Garten weiterzustöhnen.
Aber als ich mich umsah, konnte ich keinen Onkel entdecken. Schon wollte ich mich kopfschüttelnd wieder in meine Meditationen versenken, als ich es erneut ächzen hörte. Ich spähte in die Schatten und entdeckte eine schemenhafte Gestalt, die auf einer der Gartenbänke saß, welche hier überall herumstanden, und neben selbiger stand noch eine zweite schemenhafte Gestalt. Ich spähte noch einmal, und dann hatte ich die Fakten beisammen.
Diese schemenhaften Gestalten waren, von links nach rechts, Gussie Fink-Nottle und Jeeves. Aber wieso Gussie hier so herumstöhnte, war mir schleierhaft.
Ein Irrtum war jedenfalls ausgeschlossen. Das sollte kein Gesang sein. Als ich näher kam, gab er ein Dakapo, und dabei handelte es sich eindeutig um Stöhnen. Außerdem konnte ich ihn jetzt besser sehen, und er wirkte wie ein Häufchen Elend.
»Guten Abend, Sir«, sagte Jeeves. »Mr. Fink-Nottle fühlt sich nicht wohl.«
Ich auch nicht. Gussie fing jetzt an, leise vor sich hin zu blubbern, so daß sich mir der Gedanke aufdrängte, es müsse irgendwo etwas ernstlich schiefgelaufen sein. Mir war natürlich völlig klar, daß das Heiraten immer eine ziemlich
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