Dann fressen ihn die Raben
zur Tür hereinkam. Ich fühlte mich wie ein kleiner Kutter, der in einen Orkan geraten war. Auf dem Küchentisch lag der Inhalt von Jonathans Karton ausgebreitet. Schlimmer konnte es nicht kommen. Das brachte mich unwiderruflich mit den Monkeys in Verbindung.
„Gehört das dir?“, fragte er und zeigte darauf. „Hast du unsere Jagdhütte niedergebrannt?“ Ich antwortete nicht.
„Ich habe deiner Mutter versprochen, nicht zur Polizei zu gehen, ehe wir miteinander geredet haben.“
„Das gehört einem Freund von mir.“
„Aha. Und wie heißt er, dein Freund?“
„Jonathan.“
„Jonathan. Das kann nicht sein, Freundchen. Der ist tot.“
Mir lief es eiskalt den Rücken runter.
„Henrik, mein Freund“, flüsterte ich und packte ihn an der Schulter. Ich war genauso groß wie er.
„Du packst jetzt schön deine Sachen und fährst wieder zu deinem Frauchen nach Tølløse zurück. Und du wirst nie mehr zurückkommen. Und gehst auch nicht zur Polizei. Wenn du das tust, werden die Monkeys dich kriegen. Hast du das kapiert? Und es sind viele. Viel mehr, als sich die Polizei in ihrer wildesten Fantasie ausmalen kann.“ Ich ließ ihn los und blickte ihn eindringlich an. Er zögerte. Dann ging er nach oben. Ich starrte die Sachen aus dem Karton an. All diese Scheiße. Das tat ich nur Jonathan zuliebe. Eine halbe Stunde später kam Henrik mit einer Sporttasche und einem Rollkoffer wieder. Er ging an mir vorbei ins Wohnzimmer.
„Agnete? Agnete-Schatz?“
Meine Mutter lag auf dem Sofa.
„Mmmmh.“
„Ich muss jetzt gehen.“
„Aber wohin?“
„Ich bin hier nicht willkommen. Das wird sich nie ändern. Ich kann nicht mit deinen Kindern zusammen unter einem Dach leben. Lass uns später darüber sprechen.“
„Henrik? Henrik?“ Doch er marschierte wortlos zur Tür und nahm seine Koffer.
Er sah mich kurz an und ging dann zur Tür hinaus.
Meiner Mutter waren alle Gesichtszüge entglitten. Sie ging nach oben. Ich schickte Sandra eine SMS, dass sie jetzt nach Hause kommen könnte. Sie rief mich sofort zurück.
„Daddy würde gern noch mal mit dir telefonieren.“
„Ich habe keinen Bock, mit ihm zu reden.“
„Er fährt morgen Abend wieder. Also komme ich frühestens dann nach Hause. Und ich weiß nicht, ob ich Mama jetzt gerade ertrage.“
„Fährt er echt schon wieder nach Hause?“
„Ja. Es ist merkwürdig. Eigentlich wollte er vierzehn Tage bleiben. Und jetzt will er plötzlich nach Hause. Ruf ihn doch mal an.“ Mein Vater. Sein stacheliges Kinn. Sein fröhliches Lächeln, das mich da wärmte, wo niemand sonst hinkam. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, und ich klammerte mich an den Hörer, während ich mit der Fassung rang. Aber nein, ich konnte nicht mit ihm reden.
Sandra lachte, als ich ihr von Henrik erzählte. Aber ich kenne sie. Und ihr Lachen war schrill und falsch. Es ging ihr schlecht. Genau wie allen anderen auch.
Als ich am nächsten Tag nach Hause kam, war meine Mutter noch immer nicht aufgestanden. Leise betrat ich ihr Schlafzimmer. Sie saß auf dem Bett und sah zehn Jahre älter aus. Vom schicken Hosenanzug und der Kriegsbemalung keine Spur. Sie trug einen Jogginganzug.
„Hallo Mama“, sagte ich.
Sie sah auf.
„Alles in Ordnung mit dir?“
„Nein“, antwortete sie.
„Entschuldigung“, sagte ich.
„Alles schon vergessen“, sagte sie mit einem bitteren Zug um den Mund. Ich setzte mich neben sie.
„Henrik und wir …“ Ich nickte zur Tür.
„Warum konntet ihr euch nicht ein bisschen zusammenreißen?“ Sie sah mich an.
„Wir konnten einfach nicht mit Henrik.“
„Aber ihr hättet es mir zuliebe tun können.“
„Wir hätten nicht nach Tølløse ziehen können, Mama. Wir gehören hierher.“
„Du hast seine Jagdhütte niedergebrannt, Nick!“
„Das tut mir leid.“
„Ich finde, das reicht nicht. Es tut dir leid, sagst du? Du bist kriminell, Nick. Ich habe eine Riesenangst, dass du eines Tages im Knast landest. Was ist, wenn Henrik die Polizei ruft? Oder wenn du vom Gymnasium fliegst?“ Sie setzte sich auf. „Und Sandra, die dabei ist, sich vollkommen zu ruinieren, indem sie sich von einem Typen nach dem anderen … ausnutzen lässt. Ich habe immer versucht, alles zu tun, damit ihr beide … damit aus euch etwas wird.“ Sie stand auf und sah aus dem Fenster auf den Strandboulevard hinab.
„Und letzten Sommer fand ich, dass Sandra das erste Jahr in der Oberstufe richtig gut hinbekommen hat, und ich war so stolz auf dich und deine guten Noten
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