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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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gefangen. Ihre Münder sind hart zusammengepresst, es sieht so aus, als seien sie zum Äußersten entschlossen.
    Die Panik ist plötzlich wieder da, was, wenn Amari gewinnt, John wirkt neben ihm so schmal und klein. Ich muss ihm helfen, sofort! Womit hat John die beiden vorhin niedergeschlagen? Ich suche seine Waffe, schaue zu Dennis, der noch immer regungslos in der Ecke liegt, krieche zur nächsten Wand, wo ich mich mühsam abstütze und hochrappele. Jetzt sehe ich ihn, es ist ein Baseballschläger, ich werfe mich nach vorn, um ihn mir zu schnappen, aber gerade, als ich ihn habe, umklammert eine Eisenhand meinen Fuß. Dennis ist wieder zu sich gekommen. »Das solltest du nicht tun«, keucht er.
    Ich starre ihn an. Opfer, hallt es in mir wider. Ich bin kein Opfer.
    Ich schlage ihm auf die Hand, er lässt los, rappelt sich aber sofort hoch und krümmt sich weg, ich nutze meine Chance und ramme ihm den Schläger in seine Kniekehlen. Er knickt ein und ich kann mich gerade noch beherrschen, ihm den Schläger nicht voll auf den Schädel zu dreschen.
    Ich wirbele auf dem Absatz herum, Amari sitzt mittlerweile rittlings auf John und Johns Augen sind schon so verdreht, dass ich nur noch das Weiße sehe.
    Ich hole aus und schlage Amari mit aller Macht zwischen die Schulterblätter. Er stürzt zur Seite wie ein gefällter Baum und ich beuge mich über John. Er schnappt nach Luft und seine Augen normalisieren sich wieder.
    »Das Seil! Das Seil, mit dem sie mich gefesselt haben, wo ist das?«, keuche ich. Dennis hinter mir versucht schon wieder, auf die Beine zu kommen.
    John steht taumelnd auf, fängt sich aber schnell und findet das Seil auf dem Fußboden. Während er Dennis in den Polizeigriff nimmt, binde ich ihm die Arme zusammen.
    »Was soll denn das werden?«, höhnt Dennis. »Was glaubst du eigentlich, was du da tust?«
    John antwortet nicht. Er lässt Dennis los und schlingt den Schal, den sie mir um die Augen gebunden hatten, um die Handgelenke von Amari, aber vorher dreht er sie noch nach hinten, dabei schreit Amari auf. Hoffentlich habe ich irgendwas zertrümmert, das ihm lange, lange wehtut.
    Aber dann, schon wenige Sekunden später, als Dennis und Amari gefesselt vor uns liegen und uns stumm anschauen, da verstehe ich zum ersten Mal, was mit der Spirale der Gewalt gemeint ist. Vor wenigen Sekunden hätte ich den beiden mit Freuden das Gehirn eingeschlagen. Gewalt erzeugt wieder Gewalt und die noch schlimmere Gewalt.
    »Das muss aufhören«, sage ich fest. »Wir rufen jetzt die Polizei.«
    »Und was wollt ihr denen erzählen?« Dennis klingt, als wären wir hier beim Nachmittagstee der Queen und würden Jagderlebnisse zum Besten geben, dabei ist sein Ralph-Lauren-Hemd völlig zerrissen und seine schwarze Jeans ist voller Flecken und Staub. Nichts in seinem Gesicht erinnert mehr an den liebenswerten Doug von King of Queens, da ist nichts Tollpatschiges mehr, nichts Fürsorgliches. Die braunen Locken umrahmen ein leeres Gesicht ohne jeden Ausdruck. Als er merkt, dass ich ihn anschaue, schafft er es, mich milde anzulächeln, und mir läuft es trotz des hitzigen Gefechts gerade eben kalt den Rücken runter, denn es ist genau dieses warmherzige Lächeln, mit dem er mich in der Mensa zu seinem Tisch gelockt hat. Fehlt nur noch, dass er seine Haare aus dem Gesicht schnickt.
    »Einstein, gib auf, ihr habt nicht den kleinsten Beweis gegen uns!« Breites, freundliches, ja fast väterliches Lachen. Was für ein grandioser Schauspieler!
    »Ich habe John als Zeugen.«
    Dennis’ Lachen klingt jetzt amüsiert, als hätte ich ihm einen wirklich guten Witz erzählt. »Oh ja, John. Den hab ich ja ganz vergessen. Noch so ein feiges Arschloch, das gar nicht in Deutschland sein darf. Der ist doch weg, lange, bevor die Polizei hier ankommt.«
    Unwillkürlich schaue ich zu John. »Ist das so?«
    »Er hat recht, ich war feige. Aber das hat sich geändert. Ich möchte dem ein Ende bereiten. Und dazu brauchen wir die Beweise.« Er dreht sich um. »Aber wir sollten die Polizei nicht hierherrufen, das wäre Verrat an den anderen, die hier leben.«
    John presst die Lippen zusammen und nickt dabei, wie um seine Worte zu bekräftigen.
    »Ruby, Ruby. Vom Regen in die Traufe«, Dennis schüttelt den Kopf wie über ein unartiges Kind. »Du glaubst, John ist dein Retter, dabei ist er der Schlimmste von allen. Ich wollte dich schonen, wegen Alex, aber das war ein Fehler von mir. Und jemand wie ich darf sich keine Fehler erlauben.«
    Jemand wie er?

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