Dann fressen sie die Raben
an.
»Nein, dein Stiefvater weiß nichts davon.« John kommt meiner Frage zuvor. »Das glaube ich jedenfalls nicht. Alex hat sich draußen auf die Lauer gelegt und jeden von uns, den er geschnappt hat, erpresst.«
Fassungslos geht mir ein Licht nach dem anderen auf.
»Sie haben Oliver dazu benutzt, an Illegale ranzukommen, haben sie hierher verschleppt. Und wenn sie nicht tun, was Dennis und Alex sagen, werden sie verpfiffen?«
John nickt. »So ist es. Sie arbeiten in Putzkolonnen, als Spüler in Restaurants, auf dem Bau, alles ohne Lohn. Glaub mir, diese Alphas haben reiche Väter mit sehr profitablen Firmen.« Sein Grinsen ist freudlos.
Ich kann nichts mehr sagen. Kann nicht fragen, warum sie sich das gefallen lassen, das weiß ich auch so, natürlich weiß ich das. Kein Mensch, der illegal in Deutschland lebt, kann zur Polizei gehen und sich einfach beschweren. Er würde sofort wieder abgeschoben werden.
Ich drehe mich um, gehe den Gang zurück in den Raum, wo Dennis und Amari liegen, und beuge mich über Dennis, dessen Augen mich reichlich glasig anstarren, aber er bleibt still, während ich ihn grob durchsuche. Er hat sogar zwei Handys, die beide funktionieren.
»Wir schaffen die beiden auf die Straße«, sage ich bestimmt. »Dann rufe ich den Notarzt.«
»Ruby«, Dennis flüstert nur noch, »du machst einen großen Fehler, wenn du diesem Nigger auch nur ein Wort glaubst. Er ist der Schlimmste von allen, er hat deine Schwester auf dem Gewissen, er ganz allein.«
John verzieht keine Miene. Er starrt Dennis einfach nur regungslos an, aber in seinen Augen lodert eine Wut, wie ich sie noch nie gesehen habe, und für einen Moment wird mir ganz kalt.
»Los, jetzt.« Ich zerre Dennis, so gut es geht, auf die Füße, während John sich Amari auf die Schultern wuchtet. In dem Moment rutscht eine Kette aus dessen Hemd. Die Perlen daran erinnern mich an etwas, aber ich komme nicht darauf, was es sein könnte.
Wir schleppen uns durch drei endlose Flure aus rohem Beton, in denen es so ruhig ist, als wären wir tief unter der Erde. Außer dem Flimmern der Neonröhren, unserem angestrengten Keuchen und Amaris Stöhnen durchdringt nichts diese kalte Stille.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir zu einer letzten Tür. John lädt Amari von den Schultern und späht nach draußen, um sich zu vergewissern, dass die Luft rein ist. Dann durchqueren wir die Tiefgarage und gelangen über den Notausgang ins Freie.
Draußen sauge ich die frische Luft ein und bin entsetzt, als mir klar wird, dass es schon wieder dämmert. Ich war den ganzen Tag hier eingesperrt. Ma und Pa müssen durchdrehen vor Angst.
»Wie hast du mich gefunden, John?«
»Gar nicht.« John zuckt bedauernd mit den Schultern. »Ich habe am Spielplatz auf dich gewartet, aber dann ist Amari dort aufgetaucht. Mir ist klar geworden, dass ich nur dann Ruhe vor ihm haben werde, wenn ich ihn ein für alle Mal erledige. Deshalb bin ich zum Lager gefahren.«
»Ein für alle Mal erledige … zum Lager …« Wieder überläuft mich ein Schaudern und eigentlich ist mir nicht mehr danach, für Dennis und Amari einen Krankenwagen zu rufen, aber das alles muss ein Ende haben.
Amari ist mittlerweile bewusstlos geworden und Dennis’ Gesicht hat eine gelbbleiche Tönung angenommen und ist über und über mit Schweißperlen benetzt.
»Hilf mir, bitte!« John setzt Amari am Boden vor einem hässlichen Waschbeton-Blumenkasten mit dornigem Gestrüpp ab, dann lehnen wir Dennis daneben, der keine Anstalten macht, sich zu wehren. John holt sein Messer raus, was mich kurz erschreckt, bis ich sehe, dass er den beiden nur die Fesseln abnimmt, was ich völlig vergessen hätte.
John steckt sein Messer wieder ein. »Los, verschwinden wir von hier.«
Ich zögere. Ich will nicht weglaufen, will immer noch, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt.
John scheint meine Gedanken zu kennen. »Ruby, wir müssen die Beweise finden, die Lina gehabt hat. Ohne sie wird die Polizei Dennis und Alex nie verhaften. Höchstens Amari. Und abgesehen davon, so wie du aussiehst, nehmen sie dich sofort mit ins Krankenhaus.«
Ich schaue an mir herunter, Linas Jeans sind blutig und zerrissen und ich will gar nicht wissen, wie mein Gesicht mittlerweile aussieht.
»Du kannst den Sanitätern ja schlecht erklären, dass ihr alle drei zusammen die Treppe runtergefallen seid!«
Er hat recht. Natürlich hat er recht. Und ich sehe auch, dass wir die Beweise brauchen.
Darüber hinaus muss ich unbedingt mit
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