Dann gute Nacht Marie
Ratschläge zum Thema Kasimir. Vorerst nicht. Marie konnte sich schon das nächste Gespräch vorstellen, das vermutlich mit der simplen Frage beginnen würde: »Und? Wie war’s beim Anwalt?« Aber die Antwort darauf wollte sie sich dann überlegen. Erst dann. ZWISCHENABLAGE.
Zunächst einmal beendete sie nach gut einer Stunde den ohne erneute Notlügen verlaufenen Kaffeeplausch mit Alma und fuhr in die Innenstadt. Dort verbrachte sie eine weitere Stunde mit einem kleinen Bummel durch die Geschäfte. In ihrer neu entdeckten Urlaubslaune
kaufte sie sich sogar noch eine fröhlich geblümte Bluse für den zu hinterlassenden und inzwischen schon recht gut ausgestatteten Kleiderschrank. Schließlich genehmigte sie sich noch einen Latte Macchiato mit Karamellsirup im Café König und machte sich auf den Weg zur Uni. Natürlich hatte sie vorher in der Toilette des Cafés noch einmal sorgfältig Make-up und Frisur korrigiert, um später im Seminar nicht gänzlich unvorbereitet vor ihrem Dozenten zu stehen. BEARBEITEN.
Als sie das Universitätsgebäude betrat, spürte Marie eine ähnliche innere Unruhe wie früher vor manchen Seminarstunden. Und wie damals so oft hatte sie auch heute ihre Hausaufgaben nicht gemacht, sondern ging ohne jedes Romankonzept die Flure entlang. Kurz vor Raum 103 fiel ihr siedendheiß wieder ein, dass sie Birthe leichtsinnigerweise für heute ein selbst verfasstes Buch mit persönlicher Widmung versprochen und die Problemlösung danach konsequent vor sich hergeschoben hatte. Die Hand schon an der Klinke, zuckte sie erschrocken wieder zurück. Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können? Wie immer wurde ihr erst jetzt richtig klar, welche Konsequenzen ihr Versprechen für sie haben konnte. Wenn Birthe heute nach dem in Aussicht gestellten Krimi fragte, würden andere aufmerksam werden, und sie musste irgendwann Farbe bekennen. Vielleicht würde sogar Maibach auf die Idee kommen, eines ihrer bereits erschienenen Bücher lesen zu wollen.
Marie wurde ganz schlecht bei der Vorstellung, in welch peinliche Situationen sie durch ihre unüberlegte Äußerung vom Montag kommen konnte. Kurzerhand entschied sie sich, die Seminarsitzung lieber ausfallen zu
lassen und stattdessen schnellstens das Weite zu suchen. Keine noch so wichtige Recherche war es wert, dass man sich vor einer größeren Menge hochgebildeter Menschen bis auf die Knochen blamierte. SPEICHERN. Sie drehte sich auf dem Absatz um - und stand vor Birthe, die sie erfreut anstrahlte.
»Hey, warum gehst du denn nicht rein? Wir müssen uns beeilen - er kommt sicher gleich.«
Sie griff an Marie vorbei zur Türklinke, öffnete und schob die Überraschte in den Seminarraum, ohne dass diese widersprechen konnte. Die meisten Studenten saßen schon auf ihren Plätzen, Herr Maibach war noch nicht zu sehen, aber das war jetzt auch schon egal. Als Marie gerade in Erwägung zog, vorsichtshalber eine Ohnmacht vorzutäuschen, meinte Birthe, die sich natürlich sofort neben sie gesetzt hatte: »Ich bin so gespannt auf dein Buch. Hast du es dabei?« Zu spät. Umkippen wäre jetzt zu auffällig gewesen. Deshalb schlug sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn und schauspielerte, so gut sie konnte: »Oh nein! Das hab ich ja ganz vergessen! Entschuldige, ich hatte es mir extra rausgelegt.« Vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen? Egal, beim nächsten Mal noch einmal eine ähnliche Show, und dann hatte sich die Sache sowieso erledigt. »Jetzt mache ich mir gleich eine Notiz, damit das nicht noch einmal passiert«, setzte sie noch einen drauf und schrieb demonstrativ »Krimi für Birthe« auf ihren Block.
Doch Birthe schien das nicht zu genügen. Sie drückte wortreich ihr Bedauern aus und meinte dann: »Sag mir doch mal einen Titel, dann kann ich mir ja selber eins bestellen. Die paar Euro ist mir das schon wert. Dann musst du nicht dran denken.« Das wurde ja immer schlimmer.
Da hatte anscheinend jemand tatsächlich Interesse. Fast bedauerte Marie, dass sie nicht wirklich Autorin war. Schriftsteller waren offensichtlich beliebte Menschen. Ihr aber nützte das jetzt gar nichts. Sie hätte Birthe nicht einmal einen gelungenen Schulaufsatz vorlegen können, da sie schon damals kein Meister ausgefallener Ideen gewesen war. Dafür war sie zur Zeit eigentlich ganz schön erfindungsreich, fand Marie und dachte etwas stolz an die zahlreichen Ausreden und Notlügen der vergangenen Tage. Aber eben die brachten sie in immer neue Zwickmühlen, wie zum Beispiel
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