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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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Leben sehe, wenn ich nichts davon umsetzen kann, sondern vom Ende der Schulzeit an nur nach einem vorgegebenen Schema leben soll. Der Vater, den ich jetzt bräuchte, würde mir zuhören, bis ich ausgeredet hätte und mir dann seine Sicht der Dinge darlegen, ruhig, besonnen und mich ernst nehmen. Vielleicht würden wir noch keine Lösung finden, und sicher wäre er nicht in allem mit mir einer Meinung. Vielleicht würde er mir sogar den Kopf waschen, mir ernsthaft und eindringlich versuchen klarzumachen, was geht und was nicht. Aber er würde mich nicht verurteilen; mich nicht und nicht die Menschen und Dinge, die mir wichtig sind. Der Vater, den ich jetzt bräuchte, wäre trotz allem für mich da. Gerade jetzt.
    Aber so einen Vater habe ich nicht. Meiner verschwindet kurz durch die Tür und kommt mit einem Stuhl wieder zurück, fegt mit der flachen Hand über die Sitzfläche und rückt seinen Gürtel zurecht, ehe er Platz nimmt.
    Â»Also.« Er räuspert sich. »Klick das da weg, das machst du eben später, ich habe meine Zeit auch nicht auf der Straße gefunden. Was kommt in der Abiklausur dran?«

10.
    Drei Stunden später hämmert es in meiner linken Schläfe, als würde jemand mit eisenbeschlagenen Springerstiefeln auf meinen Kopf treten, immer und immer wieder, so wie es neulich auf einem U-Bahnhof in Berlin passiert ist, jemand drehte da durch und malträtierte ein völlig willkürliches Opfer krankenhausreif. Bei mir ist es kein Unbekannter, sondern mein Vater, der mich mit Worten an den Schreibtisch fesselt, nicht locker lässt, mir immer noch eine Aufgabe stellt und noch eine. Er erklärt, fragt, insistiert, beharrt, mahnt, resigniert, fordert, bis ich nicht mehr antworten kann, nicht mehr rechnen, nicht schreiben. Wo ist bloß Natalie, denke ich. Sie kann doch nicht immerzu Bandprobe haben, ich stelle mir vor, wie sie in ihrer lässigen Kluft, die Papa ein Stachel im Auge ist, im Türrahmen lehnt und sagt, es sei doch krank, so viele Stunden zu pauken. Ich brauche sie jetzt. Wie ein Joch um meinen Hals drückt mich der Gedanke an meine Präsentation in Deutsch, die er mich nicht fertigstellen lässt, immer wieder beobachte ich die unaufhaltsam vorrückenden Zeiger der überdimensionalen Armbanduhr, die an meiner Wand hängt, so ein Retro-Teil aus den Achtzigern, ein abgefahrenes Ding, das mir Paul zum letzten Geburtstag geschenkt hat. Die ganze Zeit denke ich daran, dass ich das alles nachts nachholen muss, mit der Präsentation bin ich morgen dran, und wenn ich sie nicht halten kann, gilt dies als nicht erbrachte Leistung, für die es null Punkte gibt, dann sinkt mein Gesamtdurchschnitt noch weiter ab, das kann mein Vater nicht wollen. Und ich denke an Delia, die in der Gärtnerei auf mich wartet, hoffentlich auf mich wartet. Bis Ladenschluss sind es jetzt nur noch gute zwanzig Minuten – wenn ich sofort losfahre, erwische ich sie vielleicht noch, sofern sie auch heute wieder länger im Laden ist.
    Â»Die eine Aufgabe noch, Maximilian.« Mein Vater tippt mit dem Zeigefinger in mein Mathebuch. »Mach nicht jetzt schon schlapp, komm. Später im Studium kommt noch ein ganz anderes Pensum auf dich zu. Besser du gewöhnst dich gleich ans Arbeiten.«
    Â»Ich habe Kopfschmerzen«, entgegne ich und will meinen Karoblock zuklappen, doch er legt seine Hand dazwischen.
    Â»Was glaubst du, wie oft ich mit Kopfschmerzen weiterarbeiten muss? Das ist normal, Junge, sieh dich doch mal um in der Welt! Wenn jeder beim kleinsten Wehwehchen schlappmachen und alles stehen und liegen lassen würde, könnte dieses Land einpacken! Du bist die Generation, die das alles hier irgendwie voranbringen soll, aber das erfordert Einsatz , hörst du? Von nichts kommt nichts, du willst doch mal Geld verdienen, und ich gehe davon aus, dass du mindestens eine vergleichbare Gehaltsklasse anstrebst wie ich! Oder?«
    Ich schweige und sehe ihn von der Seite an. Wie viel verdient Delia in der Gärtnerei? Wie wenig ein Tischler? Ein Maler, ein Bildhauer? Ein Designer, Grafiker? Ist Geld und Wohlstand wirklich alles für meinen Vater? Diese Anzüge aus feinstem Merino, die edlen weißen Hemden, der BMW vor der Tür? Er wirkt nicht glücklich. Delia wirkt glücklich. Ich will zu ihr, sonst drehe ich durch.
    Aber ich rechne die Aufgabe noch, habe keine andere Wahl. Zweimal, dreimal, ich weiß nicht wie oft. Irgendwann

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