Dann mach ich eben Schluss
Frost auf dem Balkon ebenfalls nicht eingeht. Die Tür des Verkaufsraums geht auf und eine junge Frau kommt heraus, auf den Armen stemmt sie eine Kiste mit leeren Blumentöpfen aus Ton. Sie lächelt und nickt mir zu.
»Ich komme gleich«, sagt sie etwas auÃer Atem. »Muss nur schnell die Kiste hinten beim Gewächshaus abstellen, danach bin ich für dich da.«
»Die kann ich doch nehmen«, beeile ich mich zu sagen. Mit zwei Schritten bin ich neben ihr und nehme ihr die Kiste ab.
»Nicht nötig, das schaffe ich schon. Aber neben dem Eingang stehen noch mehr. Wenn du wirklich helfen willst.«
»Super«, sage ich und beeile mich, ihr zu helfen, greife mir auch eine Kiste mit Tontöpfen und trabe hinter ihr her. Bis zum Gewächshaus sind es nur ein paar Meter, aber die ganze Zeit lang kann ich meinen Blick nicht von der Frau wenden. Von hinten sieht sie aus wie ein Junge, ihre ausgewaschene Latzjeans umspielt lässig ihre Beine, ihr durchgestufter rötlicher Kurzhaarschnitt endet über ihrem Halstuch, und in ihren robusten Boots wirkt ihr Gang schwer für ein Mädchen. Aber als sie sich jetzt umdreht, treffen mich ihre munter blitzenden grünen Augen, dunkel umrahmt und mit getuschten Wimpern, dezent nur, aber gerade dadurch umso wirkungsvoller. Ihr breiter, fröhlicher Mund mit vollen Lippen und geraden weiÃen Zähnen lacht mich an, und die leichte Röte auf ihren Wangen kommt nicht aus dem Schminkkasten, sondern von der frischen Luft hier drauÃen, am Stadtrand, nicht weit vom Wald und dem kleinen See, an dem ich ganz selten mal beim Joggen vorbeikomme. Das Licht der Laterne verfängt sich in einem winzigen Strasssteinchen, das sie im linken Nasenflügel trägt. Noch zweimal gehen wir zum Laden zurück, um weitere Blumenkübel zu tragen, dann klopft sie sich ihre Hände an ihrer grünen Jacke ab und bedankt sich erneut bei mir.
»Normalerweise bin ich für die Kunden da, nicht umgekehrt«, lacht sie. »Nochmals vielen Dank also. Was kann ich denn jetzt für dich tun?«
Sie macht mich nervös, ihr Strahlen macht mich nervös, ihre Augen. Gar nichts, antworte ich in Gedanken. Du musst gar nichts tun. Es genügt, dass du da bist und mich so anlächelst. Ganz anders als Annika. Ganz anders als alle anderen Mädchen, die mir je begegnet sind. Ich finde sogar ihre Hände schön, die in Wollhandschuhen mit abgeschnittenen Fingern stecken, schmuddelig von der Blumenerde und mit kurzen Nägeln; am liebsten möchte ich sie in meine nehmen und warm hauchen. Sie ist so echt, so zupackend, solche Mädchen kenne ich sonst überhaupt nicht, bei uns in der Schule sind nur Püppchen. Ich schäme mich nicht mal, dass ich so über sie denke, für diese paar Minuten blende ich sogar meine Freundin einfach aus, sie und mein ganzes Leben. Nur für die paar Minuten, solange ich hier bin. Nur jetzt.
8.
»Ich soll für meine Mutter Stiefmütterchen kaufen«, bringe ich mühsam hervor. Ganz toll, Max, denke ich sofort,geht es noch dämlicher? Der Satz klingt wie von einem Zweitklässler, den die Mama zum Kaufmann an der Ecke geschickt hat, weil sie keine Eier mehr im Haus hat, damit er mal übt, alleine einkaufen zu gehen und das Geld nicht in SüÃigkeiten umzusetzen.
»Also, diese Blumen meine ich«, füge ich schnell hinzu. Noch bekloppter. »In verschiedenen Farben.«
»Stiefmütterchen, gerne.« Das Mädchen nickt, als wäre ihr nichts Peinliches aufgefallen und führt mich zu einem ausladenden Pflanzentisch am anderen Ende des Grundstücks, der sich unter den groÃen, kräftigen Exemplaren dieser Blume beinahe biegt. »Die kaufen jetzt die meisten Kunden, weil es einfach das unkomplizierteste Gewächs in dieser Jahreszeit ist. Wie viele brauchst du?«
Ich nenne ihr die Zahl. »Und noch irgendwas dazu, dass man sie immer abwechselnd pflanzen kann. Was nimmt man da am besten?«
»Soll es für eine Grabbepflanzung sein? Da würde ich etwas Immergrünes empfehlen, kleine Buchsbaumstauden oder einen Bodendecker. Haben wir gleich dort drüben â¦Â«
»Nein«, korrigiere ich überrascht. »Nicht für ein Grab, das ist für unseren Balkon. Wie kommst du auf Grab?«
»Oh, nichts, einfach so. Vergiss es, entschuldige bitte.« Sie sieht aus, als ob sie sekundenlang aus der Fassung geraten ist, fängt sich jedoch schnell wieder,
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