Dann mach ich eben Schluss
aber auch ich fühle mich ertappt. Als sie nach der Grabbepflanzung gefragt hat, war mir, als hätte sie mich vorhin beobachtet, als ich bei Ville Valos düsterer Musik auf meinem Bett gelegen habe und mir vorstellte, wie es wäre, tot zu sein. Natürlich ist das ausgeschlossen, aber vielleicht gibt es eine tiefe Verbindung zwischen uns, von der wir beide nichts geahnt haben.
»Im Balkonkasten machen sich zwischen den Stiefmütterchen zum Beispiel Narzissen sehr gut«, fährt sie fort, spricht jedes Wort langsam und bedächtig aus, als müsse sie sich noch fangen, sich wieder neu konzentrieren. »Die passen auch von der Höhe der Pflanzen her gut, es wirkt abwechslungsreicher, als wenn du nur Blumen von gleicher Höhe nimmst. Sonst könntest du natürlich auch Primeln nehmen.«
Ich schüttle den Kopf. »Die Narzissen«, sage ich und wische mir unauffällig die Hände an den Hosenbeinen ab. »Immer so abwechselnd gepflanzt, das gefällt meiner Mutter bestimmt.«
»Da machst du nichts falsch«, stimmt sie mir zu. »Nehmen wir also von jeder Sorte die halbe Anzahl, und von den Stiefchen nur die weiÃen, blauen und violetten? Dann sticht das Gelb der Narzissen schön heraus. Wie lauter kleine Sonnen. Man bekommt dabei sofort gute Laune.«
Lauter kleine Sonnen. Unsere Blicke verschränken sich ineinander, ich spüre den Puls in meiner Halsschlagader hämmern, die Sonne sehe ich eher in ihren Augen als in diesen gelben Blumen, die mich nie interessiert haben, aber ich begreife genau, was sie meint. Den Blick auf etwas anderes richten als nur das Alltags-Einheitsgrau. Spontan fällt mir ein alter Beatles-Song ein:
There were birds in the sky
But I never saw them winging
No I never saw them at all
Till there was you
Then there was music and wonderful roses
They tell me in sweet fragrant meadows of dawn and dew
Vor ein paar Stunden noch »Join Me In Death«, und jetzt Blumen, die ich nie wahrgenommen habe â wie verrückt die Welt ist. Ich nicke wortlos, und gemeinsam wuchten wir gefühlte Unmengen von Blumen in mein Auto. Das Mädchen wirkt so stark, beinahe kann sie mehr schleppen als ich, aber sie ist es natürlich gewohnt, macht das ja jeden Tag für ihre Kunden. Ich muss mich zusammenreiÃen, sie nicht immerzu anzustarren, ihre lebhaften grünen Augen, die silbernen, breiten Creolen in ihren Ohrläppchen, das Piercing in ihrer kleinen, geraden, ganz leicht aufstrebenden Nase, der Schimmer, wenn die Sonne sich in ihren festen, leicht verstrubbelten Haaren verfängt. Ich möchte noch bleiben. Bei ihr bleiben.
»Die Kasse ist im Laden«, sagt sie, nachdem wir auch die letzte Pflanze in meinem Kofferraum verstaut haben. Die Hälfte mussten wir auf den Rücksitz packen. Im Laden duftet es nach Rosen, Blumenfrischhaltemittel und kühler Luft. Das Mädchen tippt den Preis für Mamas Balkonpflanzen in die Kasse und ich ziehe mein Portemonnaie aus meiner Hosentasche. Bleiben, noch bleiben. Wie kann ich sie in ein Gespräch verwickeln, was soll ich sagen? Bei Annika war ich nie so schüchtern, aber durch die Schule teilen wir den Alltag, haben immer etwas zu quatschen.
»Ich brauche eine Quittung«, äuÃere ich beinahe schüchtern, wenigstens das ist mir noch eingefallen. »Mein Vater rechnet das immer als Blumenschmuck für sein Büro ab.«
»Verstehe«, lacht sie, als würde das nicht total versnobt rüberkommen, sondern sei das Normalste von der Welt. Aber vielleicht verfahren wirklich viele Firmen auf diese Art. Sie zieht eine Schublade auf und hebt verschiedene Dinge darin an, dann zuckt sie mit den Schultern und wendet sich wieder mir zu, mit diesen funkelnden Augen. »Ich kann den Quittungsblock nicht finden, muss mal hinten nachsehen. Kommst du kurz mit? Dann schlieÃe ich rasch ab, damit niemand mehr kommt, wir machen gerade zu. Aber so viel Zeit muss sein, dass dein Vater noch seine Quittung bekommt.«
Ich wage nicht, ihr zu sagen, dass er eigentlich immer einen richtigen Ausdruck in DIN A 4 haben möchte, den er ordnungsgemäà abheften kann. Dann muss es eben auch mal ein gewöhnlicher Quittungsblock tun.
»Ich bin übrigens Delia«, sagt sie und reicht mir ihre Hand, während sie um die Ladentheke herum kommt. Der Druck ihrer kleinen Hand fühlt sich fest und warm an, wie der eines Menschen, der sich so schnell nicht unterkriegen
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