Dann mach ich eben Schluss
lässt. Sie führt mich am Kassenbereich vorbei in einen kleinen Raum, der nur durch einen Flattervorhang vom Laden getrennt ist.
»Setz dich kurz.« Sie deutet auf ein beigefarbenes Sofa in grobem Cordsamt, aus den siebziger Jahren vielleicht, jedenfalls hat es die besten Jahre schon hinter sich, doch als ich mich darauf fallen lasse, habe ich das Gefühl, nie wieder aufstehen zu wollen. Delia. Der Name passt zu ihr und ihrem Blumenjob, gibt es nicht auch eine Blume die so heiÃt? Ich setze mich hin, nicht nur weil sie es mir angeboten hat, sondern vor allem, weil mir die Knie weich werden. Delia wühlt in einer Schublade und ich beobachte sie dabei, ihre gelassenen Bewegungen, ihr Kopfschütteln, als sie nicht sofort findet, was sie sucht, ihren Rücken, den sie mir zuwendet, während sie ein Regal durchforstet. Im Nacken hat sie einen lustigen Wirbel, den man nicht sehen würde, wenn sie die Haare länger trüge. Ich stelle mir vor, mit dem Zeigefinger diesen Wirbel entlang zu fahren, durch ihre dichten rötlichen Haare zu wuscheln, ihren Nacken zu küssen, bis sie eine Gänsehaut bekommt und mehr will. Vielleicht zeichne ich sie, wenn ich wieder zu Hause bin, überlege mir bereits, wie ich dieses lebendige Funkeln in ihren Augen einfangen kann. Das und ihre Rätselhaftigkeit, die in denselben Augen aufflackerte, als das Thema Tod plötzlich zwischen uns schwebte.
»Hier ist er«, verkündet Delia triumphierend und hält grinsend einen ziemlich zerfledderten Block in DIN A 6 in die Höhe, beugt sich erneut über den zerschrammten Schreibtisch und füllt einen der Vordrucke aus. Ich rühre mich nicht, sondern sauge jede ihrer Bewegungen in mir auf, möchte die Zeit anhalten, aber jetzt hat sie die Quittung für meinen Vater unterschrieben, den Firmenstempel der Gärtnerei aufgedrückt und ist gerade dabei, den Block wieder zu verstauen. Ich muss mir noch etwas überlegen, Zeit gewinnen, auf keinen Fall kann ich jetzt schon fahren, zurück in mein spieÃiges Zuhause, in dem sich alles um Leistung und Noten dreht. Nicht im Traum hätte ich damit gerechnet, dass mir heute noch so etwas passiert, aber ich habe Delia gefunden, habe jemanden getroffen, der ganz anders ist, ganz anders als ich und mir vielleicht doch ein bisschen ähnlich, irgend einen Grund muss es ja haben dass sie mich so anzieht, ich mich so wohlfühle in ihrer Gegenwart. Ich muss sie in ein Gespräch verwickeln, worüber nur, ich kenne sie ja nicht, weià nicht, womit sie sich beschäftigt und wofür sie sich interessiert. Von Blumen verstehe ich nichts, das hat sie längst gemerkt. Rasch blicke ich mich im Raum um, ob ich nicht irgendetwas entdecke, wo ich nachhaken kann, einen Aufhänger. Aber ich finde nichts, alles was hier herumhängt und steht, hat mit der Gärtnerei zu tun, Fachzeitschriften, Fotos von Gestecken und SträuÃen für Feierlichkeiten von Kunden, ein paar Kaffeetassen. An einer Pinnwand Todesanzeigen, bestimmt haben sie für die darin angekündigten Beerdigungen auch die Kränze geliefert. Ich sehe Fotos von Hochzeitspaaren, Bräute in Weià mit zierlichen BlumensträuÃen in der Hand, Taufkinder, Jugendliche in Konfirmationskleidung. Was kann ich aufgreifen oder soll ich sie doch nur fragen, auf welche Musik sie steht und was sie in ihrer Freizeit macht?
Mein Blick fällt auf die einzige Jacke am Garderobenständer in der Ecke, sie kann nur Delia gehören. Ich frage mich, wann sie geht und was sie nach Feierabend vor hat, aber das wirkt so abgedroschen.
Delia lächelt mich an, klappt den Block zu und schiebt ihn samt Stift zurück in die Schublade, reicht mir die Quittung.
»Alles finanzamttauglich ausgefüllt«, verkündet sie. »Da müsste dein alter Herr zufrieden sein.«
»Danke«, sage ich einfallslos und stehe auf, schlurfe lahm auf die Tür zu, sie folgt mir zurück in den Verkaufsraum, in ihrer Hand klimpert ein Schlüsselbund.
»Ich hoffe, ich hab dich jetzt nicht aufgehalten«, bemerke ich. Sie lacht und schüttelt den Kopf.
»Ach was. Viele Kunden wollen solche Belege haben, das ist doch normal. Der Chef hat bloà vergessen, einen neuen Block nach vorne an die Kasse zu legen, nachdem der alte leer war. Ich räume jetzt nur noch ein bisschen drauÃen auf, dann haue ich auch ab.«
»DrauÃen aufräumen?«, wiederhole ich, um irgendwas zu sagen.
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